Weltekel mit Spaßfaktor

LITERATUR Rocko Schamonis neuer Roman „Tag der geschlossenen Tür“ beschreibt das Leben eines Non-Konformisten, der sich in seiner Großstadtisolation eine Welt aus Tristesse und absurdem Witz erschafft

Was Sonntag tut und denkt ist ziemlich traurig, andererseits verdammt komisch

Michael Sonntag, Ende 30, arbeitslos, hat etwas, das andere nicht haben. Eine seltene Gabe. Michael Sonntag ist Non-Konformist, nicht durch Vorsatz, sondern durch Veranlagung. So, wie andere Leute ein absolutes Gehör haben oder ein fotografisches Gedächtnis, so hat Sonntag die Fähigkeit und den Mut, die Welt nur mit seinen Augen zu sehen und sein Leben nur nach seinen Maßstäben zu leben. Sonntag macht das radikal. Das Tragische: Sonntags Blick auf die Welt ist extrem pessimistisch. Und das Leben nach den eigenen Maßstäben allein macht ihn zu einem einsamen Menschen.

Michael Sonntag ist der Held in Rocko Schamonis Romanen „Sternstunden der Bedeutungslosigkeit“ und „Tag der geschlossenen Tür“. Die „Sternstunden“ stammen aus dem Jahr 2007 und wurden im Gegensatz zu Schamonis Schlager „Dorfpunks“ weder verfilmt noch zu einem Theaterstück verarbeitet. Der Roman „Tag der geschlossenen Tür“ ist Anfang Januar erschienen. Ab heute ist Schamoni auf Lesereise.

Michael Sonntag lebt auf St. Pauli in Hamburg. Er hat keinen Job, keine Frau, keine Kinder, keine engen Freunde. Dafür hat er sehr viel Zeit und den Mut, sich seinen Gedanken hinzugeben und ein paar absurde Exkursionen aus seiner Singlewohnung zu unternehmen. Sonntag geht als Museumswärter uniformiert in die Kunsthalle und maßregelt dort die Besucher, geht verkleidet als „psychedelischer Nazizwerg“ auf den Schlager-Move und lässt sich wegen Erregung öffentlichen Ärgernisses festnehmen, geht in einen Handy-Laden und verzehrt sich dort nach der Verkäuferin.

Über seine Ausflüge in die Welt denkt Sonntag ausgiebig nach, er hasst die Menschen, ihren Spaß, ihren Konsum, ihre Oberflächlichkeit. Am meisten aber hasst er sich selbst. Sonntag sieht sich als „sprudelnden Quell der Nutzlosigkeit“, als einen, der fremd ist auf der Welt und dazu frei von jeglichem Talent. Zwar ahnt er, dass er am ehesten noch als Schriftsteller einen Platz in der Gesellschaft finden könnte, aber einen ernsthaften Versuch unternimmt er nicht. Dafür viele unernsthafte: Sonntag schreibt Liebesbriefe, Kolumnen und Exposés zu absurden Romanen. Letztere schickt er an Verlage in der sicheren Erwartung einer Absage. Romane, die zum Beispiel „E-Mail für Emil“ heißen. Oder „Europa mon Amour“.

Was dieser Sonntag tut und denkt ist einerseits ziemlich traurig, andererseits verdammt komisch. Sonntag ist immer beides: ein von Minderwertigkeitsgefühlen gepeinigter Großstadt-Single und ein stolzer Non-Konformist mit einer außergewöhnlichen Fähigkeit zur Satire. Seine Ideen und Analysen sind abwechslungsreich. Weil sie mit unterschiedlichen Ironie-Dosierungen arbeiten: Vieles ist schräg, manches philosophisch abgekupfert und einiges gut geerdet: Sonntags Blick auf die Veränderungen von St. Pauli sind eins zu eins jene von Rocko Schamoni, dem Künstler und Gentrifizierungskritiker. KLAUS IRLER

„Tag der geschlossenen Tür“-Lesungen im Norden: 12. 1. Bremen, Schlachthof; 26. 1. Lübeck, Filmhaus; 8. 2. Hamburg, Schauspielhaus; 23. 2. Hannover, Pavillon