„’s Lebbe iss, wie’s iss!“

Ausgerechnet SPD-Chef Kurt Beck rät einem Arbeitslosen von oben herab: „Waschen und rasieren Sie sich erst mal, dann finden Sie auch Arbeit“. Schlimm! Aber hat er nicht irgendwo recht? Ja und nein

Nein! Der Auftritt des arbeitslosen Henrico Frank auf dem Wiesbadener Weihnachtsmarkt war richtig gute Eigen-PR. So viel Initiative straft jedweden bürokratischen Vermittlungsversuch der Agentur für Arbeit ab. Genau so muss man es machen: sich mitten rein in ein Politiker-Presse-Tross werfen, ein bisschen Verbal-Randale veranstalten und am nächsten Tag läuft das professionell geschossene Bewerbungsbild über die Presseagenturen.

Anrufe von Hedi Slimanes Berlin-Scout für abgefuckte Männermodelle, der Werbeabteilung von American Apparel oder David LaChapelle, Fotograf mit Vorliebe für Ghettokultur, sind ihm sicher. Denn: Manchmal ist es eben genau richtig, so auszusehen, als hätte man in seinem Leben noch nicht so richtig viel gearbeitet. Als sei man hauptsächlich damit beschäftigt, lässig zu sein. Und ein bisschen Rock ’n’ Roll zu betreiben, mit allem was so dazugehört: Biertrinken, Schwitzen, Cool-Aussehen und Mit-den-Piercings-Klappern.

Was der SPD-Vorsitzende dem ehemaligen Stadtgärtner ankreidet, ist in gewissen Branchen Einstellungsvoraussetzung. Oder will jemand einen frisch gewaschenen, rasierten und gepuderten Typen (Kurt Beck?!) am Bass einer Hardcore-Punk-Band sehen? Hat ein Projekt-Manager eines hippen Skateboard- und Kapuzenpulli-Herstellers noch irgendeine Credibility, wenn er mit festgezurrtem Schlips daherkommt? Mitnichten.

Henrico Frank würde sich mit den blonden Haarstähnen und dem verwegenen Piratenbart auch als Surfbrett-Vertreter bestens eignen. Oder er könnte in „Gegen die Wand 2“ den Part von Birol Ünel übernehmen.

Wie auch immer, ein Job in der Welt der dreitagebärtigen Hipster ist ihm nach diesem Auftritt jedenfalls sicher.

Frank soll ja nach Becks spießiger Altherren-Abkanzelung gesagt haben: „Ich wasche und rasiere mich und komme dann bei Ihnen in der Staatskanzlei vorbei.“ Aber: SPD-Chef werden ist auch nicht so rock ’n’ roll, wie es vielleicht mal war. Man kann Henrico Frank nur Dove-Werbung-artig raten: Bleib genau so, wie du bist, du coole Sau! KIR

Ja! Gerade ein führender Sozialdemokrat tut ein gutes Werk, wenn er einen öffentlich sein Schicksal beklagenden Arbeitslosen von zotteliger Gestalt erst einmal auf die Segnungen der Körperpflege hinweist. Wir leben nun einmal in einer Gesellschaft, die von ihren Verlierern immer häufiger „Eigeninitiative“ verlangt; oder, um diese unbestreitbare Tatsache mit Kurt Beck in die pfälzisch-bodenständige Mundart zu kleiden: „’s Lebbe iss doch wie’s iss!“

Andererseits leben wir aber auch in einer Gesellschaft, die das Individuum zwecks besserer Unterscheidbarkeit von anderen Individuen zu Strategien der Selbstverwirklichung förmlich einlädt; oder, um diesen Sachverhalt auf Henrico Frank anzuwenden: Tätowierungen, Bartwuchs, lange und gefärbte Haare sowie Piercings dienen lediglich der optischen Distinktion, ohne in der Wahrnehmung des dergestalt Distinguierten seine inneren Werte zu überlagern.

So richtig dies aus individueller Perspektive auch sein mag, ist es doch ein fataler Irrtum: Das Gesicht eines Menschen ist, wenn man so will, seine Benutzeroberfläche. Wenn sich nun der potenzielle Chef – bei den Banken, den Instituten, den Ämtern oder anderen gutbürgerlichen Arbeitgebern – schon vor der Oberfläche ekelt, wie soll er da ein wohlwollendes Interesse für den „eigentlichen“ Menschen dahinter entwickeln?

„Sie sind für Hartz IV verantwortlich – und ich habe keinen Job!“, soll Henrico Frank dem SPD-Chef auf dem Weihnachtsmarkt zugerufen haben. Gerade weil das keine stringente Kausalkette darstellt, dürfte Beck in der Gestalt des angetrunkenen Querulanten instinktiv einen typischen Vertreter seiner klassischen Klientel erkannt haben. Sein womöglich etwas derber Hinweis auf die Hygiene war demnach nichts anderes als ein redlicher Versuch, das hohe Wort von der „Eigeninitiative“ auf das offensichtliche Niveau seines Gegenüber herunterzubrechen.

Vielleicht kam des Politikers Forderung nach Hygiene (und damit Haltung) ein wenig altväterlich daher. Vielleicht aber war der Rat auch überfällig: Reiß dich am Riemen, du arme Sau. FRA