Israel: Gericht vergibt Lizenz zum Töten

Der Oberste Gerichtshof Israels erklärt die „präventive Exekution“ möglicher Terrorattentäter für rechtmäßig. Im Krieg gegen den Terror seien solche Mittel erlaubt. Rund ein Drittel der bislang 500 palästinensischen Opfer waren Unschuldige

AUS JERUSALEM SUSANNE KNAUL

Außergerichtliches Töten von möglichen Terrorattentätern bleibt in Israel legal. Nach vier Jahren zögerlicher Verhandlungen wies der Oberste Gerichtshof in Jerusalem gestern eine vom israelischen Antifolterkomitee“ eingereichte Petition zur Politik der „präventiven Exekutionen“ zurück. Der inzwischen pensionierte Präsident des Obersten Gerichtshofs, Aharon Barak, für den das Urteil sein letztes ist, begründete den Rechtsspruch mit der besonderen Situation in Israel und der Notwendigkeit, „den Terror zu bekämpfen“. Dabei würden nicht alle eingesetzten Mittel den internationalen Gesetzen entsprechen.

Seit Beginn der Intifada Ende des Jahres 2000 gehören die außergerichtlichen Hinrichtungen von Menschen, die von den Sicherheitskräften als „tickende Zeitbomben“ angesehen werden, zum Repertoire der israelischen Antiterrormaßnahmen. Insgesamt zählte das Antifolterkomitee“ 500 Opfer dieser Politik, darunter 168 Unschuldige. Auf der israelischen Abschussliste standen nicht nur militante Aktivisten, sondern auch politische Führer. So wurden Scheich Achmed Jassin, Gründer und Mentor der Hamas, wie auch sein Nachfolger Abdel Asis Rantisi im Jahr 2004 Opfer „präventiver Hinrichtungen“ durch gezielte Raketenangriffe.

Die einzige Einschränkung, die der Oberste Gerichtshof mit seinem Urteil verhängt, ist, dass die künftigen Hinrichtungen erst infolge von „gründlichen Informationen“ vorgenommen werden dürfen. Es müsse eine „detaillierte Untersuchung“ vor jedem Angriff stattfinden. Dazu gehöre auch zu prüfen, ob „weniger gravierende Maßnahmen“ wie eine Verhaftung möglich seien.

Michael Sfard, Anwalt des „Antifolterkomitees“, stellt die Politik der „tickenden Zeitbombe“ nicht grundsätzlich in Frage, sondern lediglich „die Gefährdung von Unschuldigen“. Das Urteil des Obersten Gerichts ist für ihn vor allem deshalb „enttäuschend“, da es „keine klaren Kriterien vorschreibt, wann ‚präventive Hinrichtungen‘ erlaubt sind und wann nicht“. Soldaten seien genaue Anweisungen gewohnt und sollten wissen, wie sie vorgehen müssen, „um den Mord an unschuldigen Menschen zu verhindern“. Dass es mit dem gefällten Urteil ein Problem gebe, sei allein daran zu erkennen, dass „hier zwei Anwälte sind, und jeder versteht das Urteil anders“.

Für Jonathan Schapira, der jahrelang selbst als Pilot für die israelische Luftwaffe flog, ist das Urteil insofern problematisch, weil es „eine kleine Gruppe dazu autorisiert zu entscheiden, wer stirbt und wer nicht stirbt“. Die Generale und Politiker kalkulierten „den Wert auch unschuldiger Menschenleben“. Schapira gehörte vor drei Jahren zu einer Gruppe von 27 Piloten der Reserve, die mit einem Brief an den Stabschef gegen die Politik der „präventiven Tötungen“ protestierten.

Das Urteil des Obersten Gerichtshofs kommt eine Woche nach dem Rechtsspruch im Sinne einer Eingabe von neun Menschenrechtsorganisationen. Das Urteil gesteht Palästinensern, die infolge von militärischen Invasionen Schaden genommen haben, das Recht auf eine Wiedergutmachungsklage zu.

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