„Meine Reaktion war – sapperlot“

Joschka Fischer war verwundert, als er von einem Geheimgespräch Otto Schilys aus dem Internet erfuhr. Ansonsten verteidigte er vor dem BND-Untersuchungsausschuss, ebenso wie Außenminister Steinmeier, das Verhalten von Rot-Grün im Fall El Masri

AUS BERLIN JENS KÖNIG
UND LUKAS WALLRAFF

„Zu der Abteilung Erkenntniswert gehören Sie nicht“, sagt Wolfgang Neskovic zu Joschka Fischer, „eher zur Abteilung Unterhaltungswert. Deshalb habe ich keine Fragen an Sie.“

Die Vernehmung des Zeugen Joseph Fischer – „genannt Joschka“, wie er bei seiner Vorstellung festhält – dauert jetzt ungefähr eine Stunde, als Neskovic, Obmann der Linksfraktion, die Bedeutung des Außenministers a. D. für die Arbeit des BND-Untersuchungsausschusses an diesem Tag klarzumachen versucht. Ein paar Minuten später wird der ehemalige Richter vor lauter Empörung sogar den Saal verlassen. Der Zeuge Fischer lässt sich durch diese Abqualifizierung nicht aus der Ruhe bringen. „Ich wusste gar nicht, dass Ihr Unterhaltungsbedürfnis so einfach zu befriedigen ist“, entgegnet er trocken. „Da reicht ja schon ein kleiner Auftritt von mir.“

Ja, das ist Joschka Fischer, wie er leibt und lebt. Auch in Amerika, wo er seit ein paar Wochen als Politikprofessor lehrt, hat das politische Tier offenbar nichts von seiner robusten, arroganten Natur verloren. Es ist schließlich auch nicht Fischers erster Auftritt vor einem Untersuchungsausschuss. Vor eineinhalb Jahren hat er sogar auf demselben Platz gesessen wie an diesem Donnerstag, in der Mitte des Anhörungssaales 3.101 im Marie-Lüders-Haus des Bundestages. Damals ging es um die Visa-Affäre. Die Fragen der Abgeordneten beantwortete er so selbstbewusst und schlagfertig wie heute.

Nun hat Neskovic zwar nicht ganz unrecht, der Erkenntnisgewinn von Fischers Auftritt für die Aufklärung des Falles Khaled El Masri war nicht allzu groß. Wichtige Details blieben weiterhin unklar. Aber Fischers politische Erläuterungen – wie auch später die Aussagen des heutigen Außenministers Frank-Walter Steinmeier – machten sehr deutlich, welchen Zwängen sich die damalige rot-grüne Bundesregierung im Kampf gegen den internationalen Terrorismus ausgesetzt sah. Dem Ausschuss ging es jedoch nur darum, ob die frühere Regierung ihrer Fürsorgepflicht gegenüber El Masri gerecht geworden ist. Der aus dem Libanon stammende Deutsche war Ende 2003 in Mazedonien festgenommen, an die CIA übergeben und nach Afghanistan gebracht worden. Dort wurde er monatelang als Terrorverdächtiger festgehalten und erst im Mai 2004 freigelassen.

Nein, sagte Fischer, er habe von El Masris Entführung erst nach dessen Freilassung erfahren. Konkret im Sommer 2004, durch ein Schreiben des Anwalts von El Masri. Er habe sofort eine Abstimmung mit dem Kanzleramt angeordnet. „Meine erste Einschätzung war: Wenn das stimmt, ist das ein ernster Vorgang“, sagte Fischer. Gerade weil mit den USA ein wichtiger Bündnispartner von den Vorwürfen betroffen gewesen sei, habe die Bundesregierung vor einer möglichen Kontroverse mit den Amerikanern die Fakten zweifelsfrei klären wollen. Abgesehen davon habe auch El Masris Anwalt eine Überprüfung der Aussagen seines Mandanten nahe gelegt.

Fischer deutete mehrmals an, dass El Masris Kontakte in der Islamistenszene von Neu-Ulm die Beurteilung des Falles schwierig gemacht hätten. „Klar ist mir das bis heute nicht. Ich habe da immer noch Fragen“, sagte er. Zudem wären die Vorwürfe der Amerikaner an die Deutschen massiv gewesen, schließlich seien die Attentäter des 11. September 2001 aus Hamburg gekommen. Das rechtfertige alles nicht die Entführung El Masris, mache aber den „extrem schwierigen Abwägungsprozess“ der rot-grünen Regierung deutlich.

So ähnlich sollte später auch Steinmeier vor dem Ausschuss argumentieren. Die Vorwürfe, die Bundesregierung habe Beihilfe bei der Verschleppung El Masris geleistet oder „komplizenhaft weggeschaut“, nannte der frühere Kanzleramtschef „infam“. Vom Fall El Masri erfuhr Steinmeier nach eigenen Angaben erstmals im Juni 2004. Weder Bundesregierung noch BKA oder BND hätten, etwa durch Weitergabe von Geheimdienstinformationen über El Masri an die Amerikaner, Beihilfe zur Verschleppung eines deutschen Staatsangehörigen geleistet.

Fischer hatte die Arbeit seines „Nachfolgers und Freundes“ Frank-Walter Steinmeier, der damals mit der Koordinierung der Geheimdienste betraut war, zuvor mehrfach gelobt. „Wir haben uns keine Vorwürfe zu machen“, resümierte er die Anstrengungen von Rot-Grün in Bezug auf El Masri. Mit der Klärung des Sachverhalts sei Innenminister Otto Schily beauftragt worden, weil er „exzellente Beziehungen“ in die Vereinigten Staaten gehabt habe und sein Ministerium für Sicherheitsfragen zuständig gewesen sei. Auf der diplomatischen Ebene, über das US-Außenministerium, wäre kein Erfolg zu erwarten gewesen. „Da waren die Türen verschlossen.“

Nur ein einziges Mal lässt Fischer Distanz erkennen: als er davon berichtet, dass er von dem geheimen Gespräch Otto Schilys mit dem US-Botschafter Coats am 31. Mai 2004 erst Monate später aus dem Internet erfahren habe – bei der „obligatorischen Lektüre der Washington Post“. In dem Gespräch war der Innenminister von der irrtümlichen Festnahme El Masris durch US-Behörden und dessen bereits erfolgte Freilassung informiert worden. Irritiert sei er nicht gewesen, dass Schily ihn nicht selbst informiert habe, erzählte Fischer. „Meine Reaktion war – sapperlot.“