Reformer aus dem Apparat

Nach zehn Jahren scheidet UN-Generalsekretär Kofi Annan aus dem Amt. Die Umstände seiner Wahl waren ebenso ungewöhnlich wie umstritten

aus Genf Andreas Zumach

Die Umstände dieser Wahl waren höchst ungewöhnlich. Zunächst spielte der Name Annan bei den monatelangen Beratungen des Sicherheitsrates überhaupt keine Rolle. Denn 14 der 15 Ratsmitglieder waren für eine zweite Amtszeit des Ägypters Butros Butros Ghali. Doch dessen Wahl verhinderten die USA per Vetodrohung. Butros Ghali war bei der Clinton-Regierung in Washington in Ungnade gefallen, weil er die Veröffentlichung eines von UNO-Blauhelmsoldaten im Libanon gefilmten Videos nicht verhindert hatte.

Dieses Video widerlegte die seinerzeit von der Clinton-Administration unterstützte Behauptung der israelischen Regierung, wonach der Angriff israelischer Kampfflugzeuge auf ein palästinensisches Flüchtlingslager beim südlibanesischen UNO-Posten Kana Ende April 1996, der 102 Todesopfer forderte, ein „Versehen“ gewesen sei.

Nach der Ablehnung Butros Ghalis nominierte die afrikanische Ländergruppe in der UNO vier weitere Kandidaten, die ebenfalls alle an der Vetodrohung Washingtons scheiterten. Erst dann benannten die USA Annan als ihren Kandidaten.

Mit der Wahl des Ghanaers zum UNO-Generalsekretär im Herbst 1996 entschied sich der Sicherheitsrat erstmals für einen Mann aus dem Apparat. Seine sechs Vorgänger seit 1945 kamen alle aus der Regierung oder dem diplomatischen Dienst ihrer Heimatländer. Annan hingegen hatte bereits Anfang der 60er Jahre eine Stelle bei der Weltgesundheitsorganisation (WHO) in Genf angetreten und seitdem langsam aber stetig Karriere gemacht im UNO-System. Vor seiner Wahl zum Generalsekretär war Annan Leiter der Abteilung für Friedensoperationen (DPKO) in der New Yorker Zentrale.

Die Umstände seiner Wahl ließen Annan in den Augen vieler Diplomaten und Mitarbeiter bei der UNO zunächst als Büttel der USA erscheinen. Sogar das böse Wort von „Clintons Onkel Tom“ war anfänglich auf den Fluren der New Yorker UNO-Zentrale zu hören. Diese Wahrnehmung verstärkte Annan noch, als er in den ersten sechs Amtsmonaten zu Diskussionen mit dem US-Kongress nach Washington reiste und sich dort ausgerechnet mit dem rechtskonservativen Vorsitzenden des außenpolitischen Senatsausschusses, Jesse Helms, einem eingefleischten UNO-Hasser, zum Kaffee traf. Kritik an dem ersten Besuch eines UNO-Generalsekretärs beim Parlament eines Mitgliedslandes wies Annan damals zurück mit der Bemerkung, er werde „das Parlament jedes Staates besuchen, das verantwortlich ist für 25 Prozent des regulären UNO-Haushaltes und für 30 Prozent des Budgets für die Friedensoperationen“.

Es war diese starke finanzielle Abhängigkeit der UNO von den USA, die Kofi Annan vor allem in seinen ersten zwei Amtsjahren schwer zu schaffen machten. Denn auch die von 1992 bis 2000 regierende Clinton-Regierung beendete die zu Zeiten von Präsident Ronald Reagan in den 80er Jahren eingeführte Praxis, große Teile der Pflichtbeiträge an die UNO-Kassen aus politischen Gründen zurückzuhalten, trotz gegenteiliger Versprechen erst Anfang 2000. Zeitweise schuldeten die USA der UNO mehr als 1,7 Milliarden US-Dollar. Unter dem finanziellen Erpressungsdruck des größten Mitgliedslandes war der Generalsekretär in seiner ersten Amtsperiode genötigt, den UNO-Haushalt zunächst einzufrieren und dann real zu kürzen. Den weltweiten Personalbestand der UNO musste Annan um mehr als zehn Prozent verringern.

Ein erster Akt der Emanzipation von Washington gelang Annan, als er im Frühjahr 1999 nach dem von Washington provozierten Rauswurf der UNO-Waffenkontrolleure aus dem Irak durch Saddam Hussein zu Vermittlungsgesprächen mit dem Diktator nach Bagdad reiste. Zwar erbrachten diese Gespräche damals kein konkretes Ergebnis. Sie verhinderten aber – zumindest in der Wahrnehmung vieler UNO-Staaten –, dass die USA schon damals in den Krieg gegen Irak zogen.

Die Terroranschläge vom 11. September 2001, die in Reaktion darauf beschlossene Präventivkriegsdoktrin der USA vom September 2002 sowie der auf Basis dieser Doktrin und gegen den erklärten Willen einer 80-prozentigen Mehrheit der 191 UNO-Staaten geführte Irakkrieg vom Frühjahr 2003 veränderten auch die Rahmenbedingungen für den UNO-Generalsekretär erheblich. Hinzu kam die Ablehnung von drei der bedeutsamsten multilateralen Errungenschaften der 90er Jahre (des Internationalen Strafgerichtshofs, des Klimaschutzprotokolls von Kioto und des Verbot von Antipersonenminen) durch die Bush-Regierung. Zwar vertrat Annan auch weiterhin den Standpunkt, dass Erfolge für das multilaterale System der UNO nur mit und nicht gegen das stärkste Mitgliedsland zu erreichen seien. Zugleich aber formulierte der Generalsekretär deutlicher und häufiger Kritik an der unilateralen Machtpolitik und Verweigerungshaltung der USA.

Annans wichtigste Rede war jene zur Eröffnung der Generalversammlung im September 2003. Darin beschwor der Generalsekretär die Mitgliedsstaaten – vor allem jene im Norden –, sozioökonomische und ökologische Probleme wie Armut, Hunger, Aids oder Umweltzerstörung ebenso ernst zu nehmen als Herausforderung und Bedrohung der globalen Sicherheit wie den Terrorismus und die Verbreitung von Massenvernichtungsmitteln. Zudem forderte Annan die Generalversammlung vor dem Hintergrund des Irakkrieges auf, eine einvernehmliche Regelung zu finden für eventuelle präventive Maßnahmen einzelner Staaten gegen als unmittelbar empfundene Bedrohungen. Denn ohne eine solche einvernehmliche Regelung werde das mit der UNO-Charta von 1945 formulierte Völkerrecht zerstört.

Auf Basis dieser Rede vom September 2003 sowie unter Berücksichtigung der Ergebnisse der großen UNO-Konferenzen der 90er Jahre (zu Umwelt und Entwicklung, Menschenrechten, Bevölkerungspolitik, Frauen, Sozialfragen und anderen Themen) entwickelte Annan sein im März 2005 präsentiertes umfangreiches Reformpaket zur Stärkung der Handlungsfähigkeit des UNO-Systems bei der Bewältigung der zentralen globalen Herausforderungen.

Diese Reformvorschläge sind – trotz aller Defizite und Mängel im Detail – das größte Verdienst Annans in seiner zehnjährigen Amtszeit. Dass die Mitgliedsstaaten den Vorschlägen des Generalsekretärs zunächst nur sehr eingeschränkt gefolgt sind, ist nicht Annan anzulasten und macht diese Vorschläge auch keineswegs obsolet. Unter den sieben Generalsekretären in den ersten sechs Jahrzehnten der UNO war Kofi Annan nach dem Schweden Dag Hammerskjöld der bedeutendste.