UM IHRE FÜHRUNG SIND DIE PALÄSTINENSER DERZEIT NICHT ZU BENEIDEN
: Nationale Zwietracht

Der Machtkampf in Palästina eskaliert. Der Anschlag auf Ministerpräsident Ismael Hanijeh treibt die verfeindeten Lager immer näher an den Rand eines Bürgerkriegs. Die internen Grabenkämpfe haben längst die obersten Führungsebenen von Fatah und Hamas erreicht. Die Beschuldigung der Hamas-Regierung, der Exgeheimdienstchef und ehemalige Fatah-Minister für innere Sicherheit Mohammed Dahlan sei der Drahtzieher der Schüsse auf Hanijehs Autokonvoi, sind hierfür ein Beleg. Die auch international favorisierte Idee einer „Regierung der nationalen Einheit“ aus Hamas und Fatah dürfte damit endgültig vom Tisch sein. Jetzt gilt nur noch die Parole „die oder wir“.

Die Hamas-Regierung kann und will ihre Macht nicht abgeben, weil sie damit eingestehen würde, dass ihr Konzept des politisch-militärischen Widerstandes gegen die israelische Besatzung gescheitert ist. Die Islamisten fürchten zudem um ihre ideologische Vormachtstellung, laut der „der Islam“ die Lösung ist – die Niederungen der Tagespolitik und die Bezahlung der Staatsangestellten eingeschlossen.

Der pragmatische Flügel der Hamas dürfte mit dieser Entwicklung weiter an Bedeutung verlieren. Auch darin spiegelt sich der gewachsene Einfluss des Irans und Syriens auf diesen Teil der palästinensischen Nationalbewegung wider. Das andere Lager um Präsident Abbas setzt auf die propagandistische und materielle Schützenhilfe aus den USA, Europa und einigen konservativen arabischen Staaten. Und es hofft auf einen politisch-diplomatischen Putsch gegen die Hamas-Regierung.

Doch dass alleine die Aussicht auf wieder fließende Hilfsgelder der Fatah die Herzen und – bei einer anvisierten Neuwahl – vor allem die Stimmen der Palästinenser zutreiben werden, könnte sich als neuerliche Illusion erweisen. Den üblen Geruch von Korruption, Machtmissbrauch und Finanzgeschacher hat die Fatah bis heute jedenfalls nicht wirklich ablegen können. An der politischen Verantwortungslosigkeit, die das Verhalten der palästinensischen Nationalbewegung derzeit kennzeichnet, tragen viele Akteure Schuld. Im Moment freilich kann man die Palästinenser um ihre Führung nur bedauern. GEORG BALTISSEN