Sachsen wird zum Land der Greise

Neue Studie vergleicht unterschiedliche Lebensverhältnisse in den Bundesländern

BERLIN taz ■ Hamburg ist ein glücklicher Ort. Nirgends sonst flanieren so viele gut gebildete Menschen durch die Straßen. Nirgends sonst findet sich so leicht ein Ausbildungsplatz. Nur in einem Punkt läuft Berlin Hamburg den Rang ab: Die Hauptstadt ist auch die Hauptstadt der Fairness zwischen Mann und Frau.

Zum zweiten Mal nach 2000 hat das Institut „berlinpolis“ jetzt die soziale Lage in den Bundesländern verglichen. Es untersuchte Indikatoren wie Armut, Bildung und Altersstruktur – und ermittelte erhebliche Unterschiede. So zeigt die Studie, wie sehr die Lebenswelt der Frauen regional variiert. So kommen in Berlin auf 100 erwerbstätige Männer 93,4 erwerbstätige Frauen – der Spitzenwert. Auch Sächsinnen ziehen auf dem Arbeitsmarkt fast mit den Männern gleich. Ganz unten im Ranking aber liegt Nordrhein-Westfalen, dicht gefolgt von Bayern und Rheinland-Pfalz.

Nach Ansicht der Forscher bündeln sich in Berlin zwei Tendenzen, die den Zugang der Frauen zu bezahlter Arbeit fördern: Die ostdeutsche Tradition, auch als Mutter berufstätig zu sein – und der Umstand, dass gerade in den Großstädten der Lebensentwurf „Hausfrau“ an Bedeutung verliert.

Überrascht aber hat die Forscher, wie beharrlich Ost-West-Unterschiede überdauern. Sie hatten erwartet, dass sich die Quote weiblicher Erwerbstätiger bundesweit angleicht. De facto aber ist das kaum feststellbar. Selbst die bei der Vorgängerstudie noch gut platzierten Stadtstaaten Hamburg und Bremen fallen mittlerweile hinter die neuen Bundesländer zurück.

Was die Zukunftschancen für die Jugend angeht, steht indes der Westen weitaus besser da als der Osten. Wer einen Ausbildungsplatz sucht, wird am ehesten in Hamburg fündig. Am schwersten hat er es in Sachsen. Dort geht jeder zweite Bewerber leer aus. Kein Wunder also, dass viele junge Leute wegziehen – und dass Sachsen vergreist: In keinem anderen Bundesland gibt es prozentual gesehen so wenige Kinder und Jugendliche und so viele Senioren.

Nahezu idyllisch muten dagegen die Zustände in Niedersachsen an. Hier tummeln sich fast allerorts spielende Kinder – auch, weil Niedersachsens Frauen die gebärfreudigsten der Nation sind. In Berlin und Hamburg hingegen leben zwar nicht ganz so viele Kinder, dafür wohnen hier aber weniger Senioren.

Ihren Datenberg nutzten die Forscher schließlich, um ein Gesamtranking zur sozialen Lage der einzelnen Länder zu verfassen. Das Ergebnis ist erwartbar: Auf Platz eins landet das wirtschaftsstarke Baden-Württemberg, gefolgt von Bayern und Hamburg, Schlusslicht ist Mecklenburg-Vorpommern. Interessanter sind die Verschiebungen seit dem Jahr 2000. So ist das einst gut platzierte Schleswig-Holstein stark abgerutscht. Gleiches gilt für Thüringen. Sachsen-Anhalt dagegen steht heute besser da. Daniel Dettling, Vorstandsvorsitzender von berlinpolis, wertet diese Daten als Beleg, dass sich die Lage eines Bundeslandes ändern lässt. „Oft herrscht ja so ein Denken: Den reichen Ländern geht’s immer gut. Und die armen haben Pech gehabt und müssen sich damit abfinden“, sagt Dettling. Die Studie aber sieht er als ein Indiz an, wie dynamisch ein Land sein kann: „Mit guter Sozialpolitik lässt sich regional durchaus etwas bewegen.“ COSIMA SCHMITT