Muslime leiden unter Pauschalverdacht

Der Migrationsreport 2006 zeigt, dass muslimische Gemeinden immer stärker vom Verfassungsschutz beobachtet werden. Die Gläubigen fühlen sich diskriminiert und ziehen sich zurück. Auch Minister der Union warnen vor einem Generalverdacht

Integrationsminister Armin Laschet (CDU): „Islamismus ist nicht gleich Terrorismus“

AUS BERLIN CIGDEM AKYOL

Muslimische Organisationen seien schon vor dem 11. September 2001 in einem „bemerkenswerten Ausmaß vom Verfassungsschutz beobachtet worden“, erklärt Werner Schiffauer anlässlich der Vorstellung des Migrationsreports am Freitag in Berlin. Doch es seien immer mehr „verdachtsunabhängige Kontrollen und Razzien in Räumen muslimischer Gemeinden zu verzeichnen,“ erklärt der Kulturanthropologe von der Europa-Universität Frankfurt (Oder), der zu den Herausgebern des Migrationsreports gehört. Er warnt vor negativen Auswirkungen der Sicherheitspolitik auf die Integration von Muslimen.

Das andauernde Misstrauen würde von vielen Gläubigen als Diskriminierung empfunden, sagt der Migrationsexperte. „Das Ausländerrecht wird in einer Art stellvertretendem Kampf gegen den Terrorismus zunehmend gegen die Muslime verwendet“, kritisiert Schiffauer. Deswegen würden sie sich zurückziehen.

Der Bericht des Rates für Migration erscheint seit 2000 alle zwei Jahre. Der Rat ist ein Zusammenschluss von Wissenschaftlern, die sich mit Fragen von Migration, Integration und interkultureller Begegnung beschäftigen. In der aktuellen Ausgabe diskutieren die Experten die Folgen des Zuwanderungsgesetzes, die Migration nach der EU-Osterweiterung, die Auswirkungen der neuen Sicherheitspolitik und die Bedeutung von Bildung für Migrantenkinder.

Auch der nordrhein-westfälische Integrationsminister Armin Laschet (CDU) warnt die deutschen Sicherheitsbehörden vor einer pauschalen Kriminalisierung von Muslimen. „Islamismus ist nicht gleichbedeutend mit Terrorismus“, so Laschet.

Innenminister Wolfgang Schäuble (CDU) nannte den Islam gar „einen Teil Deutschlands.“

Doch durch den andauernden Generalverdacht wird Muslimen das Leben häufig erschwert. So kritisiert Schiffauer, wer in einem Bericht des Verfassungsschutzes auftauche, sei per se verfassungsfeindlich, ohne dass den Menschen beispielsweise in Einbürgerungsverfahren die Chance einer Einzelfallprüfung gewährt werde. Schiffauer sieht die Gefahr, dass konservative Muslime, die sich explizit gegen Gewalt aussprechen, dennoch als verfassungsfeindlich eingestuft werden.

So würden etwa in Hessen manchen Migranten mittlerweile auch rückwirkend Staatsbürgerschaften oder Aufenthaltserlaubnisse aberkannt, wenn sie in Verdacht geraten, Mitglied einer islamistischen Organisation zu sein, sagt Schiffauer. „Das wird als Damoklesschwert empfunden, das über ihnen schwebt und jeden jederzeit treffen kann.“

Die „beklemmende Entwicklung“ macht der Migrationsforscher auch an den Einbürgerungszahlen fest. Diese seien bundesweit von knapp 180.000 im Jahr 2001 um 50.000 auf etwa 130.000 im Jahr 2004 zurückgegangen. Davon waren 45.000 Muslime. Viele der Betroffenen wollten sich die Demütigungen durch deutsche Behörden nicht mehr gefallen lassen.

Eine erfolgreiche Integration bedeute daher auch, den Islam und seine Anhänger zu akzeptieren. Schließlich seien Muslime heute in Deutschland nach der römisch-katholischen und der evangelischen Kirche die größte Religionsgemeinschaft.