Ein Moment der Selbstoffenbarung

Die Bundestagsdebatte über eine Intervention in Darfur zeigt: Die deutsche Politik weiß nach wie vor nicht, was gegen Völkermord getan werden kann

Eigentlich ging es nicht um eine Militär-intervention, sondern um Symbolpolitik

AUS BERLIN DOMINIC JOHNSON

Kerstin Müller, Darfur-Vorkämpferin der Grünen, war am Rednerpult des Bundestages gerade so richtig in Fahrt geraten, da trat Norman Paech von der Linkspartei wie ein übermüdeter Gymnasiallehrer ans Saalmikrofon und forderte Müller mit resignativ leiser Stimme auf, die Anträge doch mal zu lesen, von denen sie sprach. Die Grüne giftete zurück: „Ich habe die Anträge nicht nur gelesen, sondern mitgestaltet.“

Momente der Offenheit wie dieser sind selten im bundesdeutschen Parlamentsbetrieb, und die gestrige Debatte um eine Intervention in Sudans Kriegsgebiet Darfur war ein Moment der Selbstoffenbarung für die deutsche Politik. Eigentlich ging es gar nicht um eine richtige Militärintervention, sondern um Symbolpolitik: Zum fünften Mal seit Ende 2004 gewährte das Parlament der Bundeswehr ein Mandat, sich mit bis zu 200 Soldaten an der Unterstützung der AU-Beobachtermission „Amis“ in Darfur zu beteiligen – ein 2004 von der damaligen rot-grünen Bundesregierung herbeigeführter Beschluss, mit Kerstin Müller als Staatsministerin im Auswärtigen Amt. Voll ausgeschöpft wurde dieses Mandat nie, kontrovers diskutiert auch nicht. Angesichts der immer schlimmeren Lage in Darfur erzwangen die Grünen eine einstündige Bundestagsdebatte und eine namentliche Abstimmung, die gestern Mittag erwartungsgemäß mit Zustimmung aller Fraktionen außer der Linken endete.

Dass ein paar Techniker und Transportflüge für eine ineffektive Eingreiftruppe an der dramatischen Lage in Darfur nichts ändern, wussten alle Befürworter, bedauerten es und stimmten trotzdem dafür. „Es ist notwendig, dieses Mandat zu verlängern, weil es dazu derzeit keine Alternative gibt“, war noch das klarste Plädoyer von Bundesverteidigungsminister Franz Josef Jung (CDU). Er sprach von „Lufttransport mit Überwachung und Eigensicherung“. Nur die Linken gehen davon aus, dass der Einsatz etwas bringen könnte, und sind deshalb dagegen. „So schleichen Sie sich ganz langsam in ein afrikanisches Abenteuer“, an dessen Ende eine Übertragung des Irakkrieges auf Afrika stehe, behauptete Linkspolitiker Norman Paech. Schön wär’s, lautete in der Substanz die Haltung aller anderen. Die Schlussrednerin Gabriele Groneberg (SPD) fasste die schizophrene Beschlusslage zusammen: „Wir tun das, was wir tun können, auch wenn wir damit nicht zufrieden sind.“

Die Konfrontation zwischen Grünen und Linken zeigte auf, welche Konfusion herrscht. Paech (Linke) hatte gesagt, die Bundeswehr habe für die AU-Unterstützung ein Mandat nach Kapitel VII der UN-Charta, das Kampfeinsätze erlaubt, und sagte, er könne sich höchstens eine Zustimmung für ein Kapitel-VI-Mandat vorstellen. Müller (Grüne) hatte erwidert, die AU-Truppe habe doch ein Beobachtermandat nach Kapitel VI, und genau das sei das Problem: Sie protokolliere lediglich die Massaker. Formal hat Paech recht – das UN-Mandat für die AU-Truppe, und darauf gründet auch das Bundeswehrmandat, ist ein Mandat nach Kapitel VII. Aber in der Praxis beschränkt sich die Truppe auf das Beobachten, so als sei es Kapitel VI.

Darfur zeigt: Obwohl das Tabu deutscher Kampfeinsätze im Ausland längst gefallen ist, hat die deutsche Politik noch keine Antwort auf die Frage, was man gegen Völkermord tun kann. Man hat gegen Militäreinsätze keine Bedenken mehr – aber man hat für sie auch kein Konzept. Zu politischen Fragen blieb die Bundesregierung Antworten schuldig. Wie kann Druck auf Sudan ausgeübt werden, einer UN-Mission in Darfur zuzustimmen? Welchen Beitrag würde Deutschland dann zu einer UN-Truppe leisten? Wie will Deutschland in seiner EU-Präsidentschaft nächstes Jahr Sanktionen gegen Sudan voranbringen? Wie wird sich die Bundesregierung verhalten, wenn eine Flugverbotszone über Darfur ins Gespräch kommt?

Es grenzt schon an eine politische Bankrotterklärung, wenn der außenpolitische Sprecher einer Regierungspartei der Opposition vorwirft, sie sei „intellektuell unredlich“, weil sie von der Regierung auf diese Fragen Antworten verlangt, statt selbst welche zu geben. SPD-Rednerin Groneberg bekannte schließlich: „Ich bin verdammt ratlos. Ich bin nicht nur betroffen, nicht nur frustriert, sondern wirklich mittlerweile hilflos.“ Und es ist traurig, wenn solche ehrlichen Worte den Höhepunkt der deutschen Darfurpolitik darstellen.