Die unschön gewinnen können

Von Muskelfaserrissen, dem Presseboykott-Boykott, einem trotzigen Torwart oder der sinnfreien Trainerdiskussion lässt sich der FC Schalke 04 nicht aufhalten – Arminia Bielefeld aber schon

„In Bielefeld kannst du nicht schön spielen und gewinnen“ (Fabian Ernst)

AUS BIELEFELD VOLKER BACKES

Was auch immer Schalkes Manager Andreas Müller bezweckte, als er sich neulich ein Schalke zurückwünschte, „das alle in den Köpfen haben“ – Bielefelds Stadionmagazin „Halbvier“ ist Müller jedenfalls gehörig auf den Leim gegangen. Ausgerechnet das Blatt für den Arminia-Anhang befasste sich sehr eingehend mit dem Charakter des Gegners. Dieser bekannt königsblauen Mixtur aus Legenden, Zoff und Fan-Romantik. Und so begrüßt – auch auf ostwestfälischem Rasen – strickte Schalke natürlich gerne weiter am eigenen Mythos.

Zum Knappen des Tages wurde Zlatan Bajramovic. Kurz nach dem der Mittelfeldspieler gegen 17.04 Uhr die schwer bespielbare Manege in der Bielefelder Schüco-Arena betrat, war das Schalke-Gefühl schon wieder da. Gleich im ersten Sprint hatte sich der Bosnier einen Muskelfaserriss in der Wade zugezogen. Doch weil das Auswechselkontingent von Trainer Mirko Slomka ausgeschöpft war, musste der Spieler bis zum Ende durchhalten. „Dann dachte ich mir, trabe ich einfach mal mit nach vorne, ist ja nur ein Faserriss“, erläuterte Bajramovic später. Eine exzellente Entscheidung.

Sieben Minuten vor Ende der Partie landete eine Hereingabe des ebenfalls eingewechselten Hamit Altintop genau dort, wo sich Bajramovics Kopf befand. Aus spitzem Winkel überlistete er Bielefelds ansonsten im Spielverlauf nicht sonderlich beanspruchten Torhüter Mathias Hain und brachte seiner Mannschaft den Siegtreffer.

Vor und auch noch kurz nach dem Tor des Tages erlebten die 26.601 Zuschauer im ausverkauften Stadion ein zähes Ringen um Torchancen und Überzahlsituationen. Das Spiel sei nicht schön anzusehen gewesen, meinte Schalkes Trainer Mirko Slomka später. Mittelfeldspieler Fabian Ernst hatte seine Erlebnisse gar zu einer neuen Fußballregel verarbeitet: „In Bielefeld kannst du nicht schön spielen und gewinnen.“

Defensiv waren die Bielefelder kurz vor der Winterpause erstaunlich wach. Den Meisterschaftsanwärter aus Gelsenkirchen hatten sie über weite Strecken des Spiels im Griff. Doch die Trefferbilanz von 1 zu 5 Toren aus den letzten fünf Spielen zeigt auf, wo bei den Ostwestfalen derzeit zu wenig Ruhe ist – im Sturm, in der Defensive und auf der Bank.

Arminias Coach Thomas von Heesen – seit Freitag ist er übrigens diplomierter Trainer – räumte im Anschluss an die Partie zur Verblüffung der Umstehenden mit einem „Missverständnis“ auf. Es gehe in der kommenden Woche in den Gesprächen mit Arminias Geschäftsführung nicht um seine Vertragsverlängerung, sondern um die Zukunft des Vereins. Der Hintergrund: In der Sommerpause kam Sportdirektor Reinhard Saftig einigen Verpflichtungswünschen von Heesens mit Verweis auf die finanzielle Situation des Klubs nicht nach und sorgte gehörig für Missstimmung auf der Trainerbank. Nach bald vier Jahren Bundesligazugehörigkeit müsse man sich doch fragen, ob es als Zielsetzung reiche, immer nur drei Mannschaften hinter sich zu lassen, grantelte von Heesen im Vorgriff auf eine weiterhin erstklassige Zukunft. Bielefeld spielt aktuell die dritte Bundesligasaison in Folge, und das keinesfalls schlecht. Ob allerdings von Heesens Wunschstürmer den Sieg gegen Schalke erzwungen hätten, fragte indes niemand.

Mirko Slomka konnte viel zufriedener der Weihnachtspause entgegen blicken. Seine Umstellung gegen Ende der Partie auf ein klassisches 4-4-2-System, mit dem er mehr Räume im Mittelfeld gewinnen wollte, zeigte Wirkung. Zudem habe sein Team niemals den Willen aufgegeben, ein Tor erzielen zu wollen. „Wir haben 36 Punkte“, meinte Slomka mit Fingerzeig Richtung Bayern München und Werder Bremen, „was für Schalke 04 ein sehr, sehr starkes Ergebnis ist“. Es zeige sich, dass die Mannschaft verstanden habe, mit „Leidenschaft im Herzen“ in jedes Spiel zu gehen, sagte Slomka.

Offenherziger gehen die Profis auch wieder in das Nachspiel mit den Medien. Zumindest im Fall von Torhüter Frank Rost hätte der Presseboykott der Schalker Spieler ruhig andauern können. Im „Aktuellen Sportstudio“ durfte der zum Ersatztorwart degradierte Keeper erklären, „kein Sitzfußballer“ zu sein. Soll heißen, er will spielen oder den Verein verlassen. Das Fernsehstudio wurde zur Jobbörse.

Auch die Zukunft von Trainer Slomka ist weiterhin nicht geklärt. Zwar kann sich Aufsichtsratschef Clemens Tönnies vorstellen, wie er sagt, mit dem Trainer zu verlängern, aber was heißt das schon? So ist der Presseboykott zu Ende, aber die Trainerspekulationen können weitergehen. Und vielleicht wird das hysterische Schalke, diese Mischung aus Legenden, Zoff und Romantik, sogar noch deutscher Fußballmeister.