Gewinnt Kraft gegen Rüttgers?

Die „Ségolène Royal von Mülheim“ soll es richten. Hannelore Kraft wurde am Samstag offiziell als SPD-Landesvorsitzende und Spitzenkandidatin für die Landtagswahl 2010 vorgeschlagen. Kann die neue Chefin Rüttgers schlagen? Beginnt mit Kraft das Comeback der NRW-SPD?

JA

2010 kann das große Jahr der Hannelore Kraft werden. Die dann 49-Jährige hat jede Chance, CDU-Ministerpräsident Jürgen Rüttgers nach nur fünf Jahren wieder aus der Düsseldorfer Staatskanzlei zu drängen.

Denn eine Lückenbüßerin auf bereits verlorenem Posten ist Kraft keinesfalls: Wer die politische Seiteneinsteigerin unterschätzt, hat bereits verloren – die Biografie der Diplom-Ökonomin beweist das eindrucksvoll. Erst 1994 in die SPD eingetreten, zog sie 2000 in den Landtag ein. Nur ein Jahr später amtierte sie als Europa-, dann als Wissenschaftsministerin. Zuvor hatte die ehemalige Unternehmensberaterin das Establishment der nordrhein-westfälischen SPD herausgefordert, die Arbeit der Landtagsfraktion als „wenig effektiv“ kritisiert.

Ihren Willen zur Macht nutzt die Mutter eines 13-jährigen Sohns zur politischen Gestaltung: langsam, aber beharrlich nimmt der Tanker SPD unter ihrer Führung wieder Kurs auf den Markenkern der Partei: die soziale Gerechtigkeit. Mit der Gesamtschuldebatte, die ihr Vorgänger als Fraktionschef, Edgar Moron, viel zu ängstlich mied, stellt sich Kraft der Frage der Chancengerechtigkeit. Gleichzeitig hat sie die Basis im Blick: Aktuell zwingt die Tochter eines Straßenbahnfahrers Peer Steinbrück, Ex-Ministerpräsident Nordrhein-Westfalens und jetziger SPD-Bundesfinanzminister, zu einer Korrektur der Unternehmenssteuer. Die vom Technokraten Steinbrück geplante Entlastung der Kapitalseite kommt angesichts Mehrwertsteuererhöhung und gekürzter Pendlerpauschalen an Rhein und Ruhr nicht gut an, glaubt Kraft – das größte Bundesland ist trotz schwarz-gelber Landesregierung noch immer strukturell sozialdemokratisch geprägt.

Das weiß auch Jürgen Rüttgers. Prophylaktisch produziert der amtierende Regierungschef bereits sozial wirkende Sprechblasen, wie jüngst bei der Verlängerung des Arbeitslosengelds I für Ältere. Faktisch aber ist die Haushaltskonsolidierung Rüttgers‘ politisches Mega-Projekt. Und die geht zu Lasten der geringer Verdienenden, der Familien, der Alten – der Mehrheit der Bevölkerung.

Warum also sollten die SozialdemokratInnen, gerade mit einer Frau an der Spitze, nicht mehrheitsfähig sein? Gescheitert ist Nordrhein-Westfalens SPD an der Arroganz der Macht ihrer Spitzen-Genossen: Die war und ist kennzeichnend für den inkonsequent-cholerischen, in Großprojekte verliebten Wolfgang Clement, den langweiligen Insolvenzverwalter Peer Steinbrück und den an sozialem Realitätsverlust leidenden Ex-Landesparteichef und jetzigen Bundessozialminister Franz Müntefering. Die größte Gefahr für Krafts Wahlsieg ist die Bundespartei.

ANDREAS WYPUTTA

NEIN

Hannelore Kraft wird bei der nächsten Landtagswahl 2010 die erste NRW-Ministerpräsidentin? Kann sein. Aber nur wenn CDU-Ministerpräsident Jürgen Rüttgers über einen Skandal stürzt, Ostwestfalen vom Land abfällt oder etwas anderes Unvorhersehbares passiert. Geht an Rhein und Ruhr alles seinen normalen sozialdemokratischen Gang, wird Hannelore Kraft wohl kaum gegen Rüttgers gewinnen.

Allein, dass die NRW-SPD nun eine Seiteneinsteigerin wie Kraft präsentiert, ist verräterisch. Frauen nominieren die Sozialdemokraten nämlich meistens leider nur, wenn die männlichen Genossen bei den kommenden Wahlen keine Chance sehen. Renate Schmidt (Bayern) oder aktuell Andrea Ypsilanti in Hessen sind Kronzeuginnen: Frauen dürfen kandidieren, wenn die Lage fast aussichtslos ist.

Und aussichtslos ist die Situation für die NRW-SPD. Die Wahlpleite vom 22. Mai hat die Landespartei bis heute nicht aufgearbeitet – vor allem inhaltlich. Es nützt nichts, wie Kraft nur intern über Fehler in 39 Regierungsjahren zu reden. Die NRW-SPD muss bekennen, dass sie keine tauglichen Konzepte mehr hatte für das Land. Ihre Programme lesen sich noch heute wie Inhaltsangaben alter Regierungsprogramme. Statt dessen braucht die Partei einen Sprung nach vorn, eine „New NRW-SPD“.

Die Partei muss kritisch mit ihrer Verschuldungspolitik der Jahre 1975 bis 2005 abrechnen – und eine nachhaltige Haushaltspolitik zu ihrem Markenkern machen. Wer einen aktiven Staat will, muss gegen die Milliardenwand an Schulden und Zinsen kämpfen. Wirtschaftspolitisch muss sich die SPD von ihrem Ruhrgebiets-Fetischismus lösen. Die klassische Förder- und Gießkannenpolitik für Großprojekte im Ruhrpott hat wenig gebracht. Statt dessen sollten überall im Land Fördermittel konzentriert werden auf regionale Innovations-Projekte – initiiert von Unternehmern, begleitet vom Staat.

Vor allem aber braucht die NRW-SPD einen neuen Stil. Es ist einfach nur peinlich, Schwarz-Gelb immer zu verdammen. Die Erinnerung an die SPD-Ära ist noch zu frisch; daher ist diese Art der Hau-Drauf-Opposition, wie sie auch Kraft pflegt, unglaubwürdig.

Bis heute deutet wenig darauf hin, dass Hannelore Kraft Inhalt und Stil der NRW-SPD verändern will. NRW ist kulturell immer noch ein sozialdemokratisches Land. Solange aber die Landespartei keine Konsequenzen aus dem Verlust der Macht zieht, hat Kraft keine Chance, Ministerpräsidentin zu werden.

MARTIN TEIGELER