Der Auftritt des Hochkaräters

Nach einem 99:90-Sieg in der Verlängerung über Ludwigsburg übernimmt Alba Berlin die Tabellenführung in der Liga. Spielmacher William Avery entscheidet das Spiel. Das soll er nach Trainermeinung auch morgen gegen Oostende tun

William Avery zeigt gern, was er hat. In seinem rechten Ohr steckt ein hochkarätiger Diamant, so groß wie eine Erbse, am Handgelenk baumelt ein brillantenbesetztes Armband. Der 27-Jährige ist gut gelaunt. Das ist nach dem Spiel gegen Ludwigsburg kein Wunder. Alba hat es mit 99:90 nach Verlängerung gewonnen. Die Berliner stehen jetzt an der Tabellenspitze – und Avery mit seiner Familie im Foyer der Max-Schmeling-Halle. „Das war ’ne tolle Sache“, sagt er und grinst.

William Avery zeigt auch gern, was er kann. Bei Heimspielen hat das in dieser Saison bisher noch nicht so gut geklappt. Aber am Samstag sollte sich das endlich ändern. Avery wurde zum spielentscheidenden Mann. In der Verlängerung warf er zweimal von jenseits der Dreipunktelinie auf den Ludwigsburger Korb – und traf jeweils. „Er hat zu Hause eine schwere Zeit gehabt“, sagte Coach Henrik Rödl nach dem Spiel, „das war heute wichtig für ihn.“ Dabei hätte Avery die Sache schon viel früher klarmachen können, mit einer besseren Trefferquote von der Freiwurflinie. Doch in der so spannenden Schlussphase, die 7.200 Zuschauer gebannt verfolgten, verschoss Avery zwei Freiwürfe, und die Ludwigsburger schafften den Ausgleich zum 82:82. „Vielleicht wollte er es etwas dramaturgischer gestalten, um es in der Verlängerung umso eindrucksvoller zu machen“, mutmaßte Rödl.

Ein finaler Wurf von Chris Owens, der zwar in der Reuse landete, aber nach Meinung der Schiedsrichter nicht mehr rechtzeitig die Hand des Flügelspielers verlassen hatte, änderte nichts mehr am vorläufigen Ergebnis. Der Buzzer-Beater, wie solch ein Kunstschuss in den USA genannt wird, misslang nur um Sekundenbruchteile; die Sirene schrillte offenbar einen Tick schneller als der Schütze.

Nun brach Averys Zeit an. „Als ich den ersten gemacht hatte, habe ich mir gesagt: Den zweiten haust du auch noch rein. Jetzt habe ich meinen Heimfluch hoffentlich besiegt“, sagte Avery. Nach seinem Doppelschlag waren solide spielende Ludwigsburg geschlagen, was Gästetrainer Silvano Poropat „traurig“ gemacht habe, wie er bekannte. „Leider hat unsere Kraft nicht gereicht.“ Ludwigsburg, das Überraschungsteam der Bundesliga, musste den Spitzenplatz räumen und an den Gegner abgeben. Das sei ganz schön, sagte Rödl, aber wirklich wichtig sei das Spiel am morgigen Dienstag gegen Telindus Oostende im Uleb-Cup. Alba sollte gewinnen, will der Verein die Gruppenphase überstehen und sich für die nächste Runde qualifizieren.

Avery will abermals so ein gelungenes Heimspiel hinlegen. Das Zeug dazu hat er ja. Avery stand 142-mal auf dem Parkett der Profiliga NBA. Er war im NBA-Draft auf der sehr guten Position 14 von den Minnesota Timberwolves ausgewählt worden, konnte sich aber nicht recht durchsetzen in der US-Liga. Also trat der Absolvent der Duke University die Tingeltour durch Europa an, spielte in Frankreich, Israel, der Ukraine und Griechenland. In Berlin schwankt seine Form noch etwas zu stark, die Amplituden seiner Leistung sind zu groß, nicht nur im Vergleich von Heim- und Auswärtsspielen. „So etwas nagt an einem Spieler“, sagte Henrik Rödl, „gegen Siena hat er zwar auch gut gespielt, aber jetzt hat er ein Spiel entschieden. Jetzt ist es raus.“

William Avery hatte, wie er sagt, „keine Idee, warum es zu Hause nicht so gut gelaufen ist“, gerade in der Max-Schmeling-Halle, wo es der Aufbauspieler, 1,88 Meter groß, besonders gut hat machen wollen – fürs Publikum, fürs Team und auch für sich selbst. Das muss den Amerikaner nun nicht weiter kümmern: „Das Problem bin ich los“, glaubt er. MARKUS VÖLKER