„Ein großer Gleichmacher“

WELTENDE Wir denken, dass die Apokalypse vor 2000 Jahren erschöpfend abgehandelt wurde. Zu Unrecht: In kommunistischen Utopien und der Umweltbewegung feiert sie eine überraschende Wiedergeburt. Ein Gespräch mit dem Autor Florian Werner

■ 42, lebt als Schriftsteller in Berlin und ist Mitglied der Autorennationalmannschaft. 2013 erschien „Verhalten bei Weltuntergang“.  Foto: Johanna Ruebel

taz: Herr Werner, bedenkt man die Auswahl apokalyptischer Vorzeichen aus Ihrem Buch – Überschwemmungen, Kriege, die Kluft zwischen Arm und Reich –, dann steht der Weltuntergang nahe bevor.

Florian Werner: Das Pikante ist, dass die meisten dieser Vorzeichen 2000 Jahre alt sind und aus den Apokalypsen des Juden- und Christentums stammen. Schon damals war das Ende nah. Dort wurden einerseits Naturkatastrophen als göttliche Warnschüsse gedeutet und andererseits als soziale Verwerfungen.

Dann half nur noch der Glaube an den Untergang?

Es gibt die sogenannte Deprivationshypothese der Soziologen: demnach entstehen apokalyptische Modelle aus politischer Ohnmacht und sozialer Hilflosigkeit. Man hat das Gefühl, nichts ändern zu können und setzt seine Hoffnung auf eine höhere Macht: Gott oder eine kosmische Katastrophe. Die Apokalypse ist ein großer Gleichmacher. Niemand, der selber an der Macht ist, wird sagen: Siehe das Ende ist nahe und die Ersten werden die Letzten sein.

Sind die Ankündigungen des Weltendes in der Neuzeit seltener geworden?

Eigentlich nicht. Natürlich hat das apokalyptische Denken etwas Anti-Aufklärerisches. Trotzdem haben wir in der Neuzeit interessanterweise eine Explosion davon: das hat zu tun mit der Zersplitterung der Glaubensrichtungen – je mehr Freikirchen, desto mehr Glaube an das Weltende. Es ist eine Art Gegenaufklärung: da ist dann eine andere Macht, sei es die Natur oder Gott, die unsere Planungen durcheinander wirft.

Die taucht auch an einer ganz anderen Ecke auf: in der links-alternativen Umweltbewegung.

Das sind Säkularisierungen eines christlichen Endzeitglaubens. Als einem in den 80er-Jahren jugendlich Gewesenen sind mir die Apokalypsen der Umweltbewegung sehr nahe, wir sind mit saurem Regen und Waldsterben aufgewachsen. Aber wenn man einen Schritt zurücktritt, sieht man die Strukturen, die sich da wiederholen. Das kann man von vielen linken Bewegungen sagen: auch der Kommunismus mit der Utopie einer klassenlosen Gesellschaft ist eine Neuauflage des neuen Jerusalems, das vom Himmel kommen wird.

Da wird die Beschäftigung mit der Apokalypse sehr politisch.

Unbedingt. Wobei man nicht vergessen sollte, dass die Beschäftigung mit der Apokalypse immer politisch ist. Wir sehen sie heute wahlweise als Produkt der Kulturindustrie – in Filmen wie „The Day after tomorrow“ und „World War Z“ – oder als christliche Schnurre, einen merkwürdigen LSD-Trip eines Johannes von Patmos von vor 2000 Jahren. Aber wir vergessen, dass diese Offenbarung des Johannes ein eminent politisches Buch war in Zeiten, als das Christentum versuchte, Zweifelnde an sich zu binden.

Es gibt zwei Schulen: eine findet, dass nur Apokalyptiker Zukunftspolitik betreiben können, andere warnen davor, den Weltuntergang überzustrapazieren. Welcher folgen Sie?

Ich neige eher zu letzterer, die man als Harald-Welzer-Schule bezeichnen könnte. Die sagt, dass man die großen rhetorischen Kaliber besser stecken lässt und kleinteiligere Handlungsoptionen betrachtet.

Wie deprimierend ist eine monatelange Beschäftigung mit dem Weltuntergang?

Das geht in Wellen, wie die Sintflut. Es ist deprimierend, wenn man sich mit den konkreten ökologischen Gefahren beschäftigt. Auf der mythologisch-religiösen Ebene ist es oft sehr komisch. Nur ein Beispiel: Ich dachte, dass es lustig wäre, wenn ich mit der Umrechnung der hebräischen Buchstaben in den Zahlenwert 666 beweisen könnte, dass Jesus der Antichrist war. Dann stieß ich auf Seiten von US-Freikirchlern, die genau darüber debattierten. Und dachte: Jetzt werde ich irre. Ich hatte es als literarische Fiktion gemacht und sehe, dass es Leute gibt, die das ernst nehmen würden.  INTERVIEW: GRÄ

Florian Werner liest am 17. 6. um 20 Uhr im Hamburger Nocht-Speicher aus seinem Buch „Verhalten bei Weltuntergang“