Sehnsucht mit Deoroller

Das geniale Schweiß-Drama von Tenesse Williams ohne Deo. Jorinde Dröse inszeniert „Endstation Sehnsucht“ in den Bochumer Kammerspielen. Am Ende der Straße ins Nichts schwitzt niemand mehr

VON PETER ORTMANN

Eigentlich müsste Schweiß von der Rampe fließen. Immer wenn Stanley Kowalski seit 1947 auftaucht, riecht es schließlich nach Transpiration. Falsch gedacht. In den Bochumer Kammerspielen ist es möglich, die Insel der Seligen (das Elysion der Arbeiterklasse liegt bei Tennessee Williams hinter der Endstation Sehnsucht) baufällig, aber ohne Deodorant zu inszenieren.

Blanche Du Bois tut dennoch schockiert, als sie mit ihrem Gepäck vor der Hütte in New Orleans (ein Zimmer geteilt durch einen Plastik-Vorhang plus Bad) steht. Der Wirbelsturm Katrina hat im Erdgeschoss wohl die Front weggeblasen, so kann man ins einfache, aber recht aufgeräumte Etablissement von Stella und Stanley Kowalski blicken. Die beiden leben zwischen Bowlinghalle und Pokerrunde den amerikanischen Traum des Proletariats. Eigentlich problemlos, obwohl Stella aus einer reichen Familie stammt und auf einem einst stolzen Familienbesitzes Belle Rêve (Schöner Traum) aufgewachsen ist. Kein Problem, denn Martin Rentzsch als Stanley ist nicht Marlon Brando. Roh, aber nicht brutal. Riechend, aber nicht schweißtriefend.

Jorinde Dröse inszeniert Williams „Endstation Sehnsucht“ als aufgeräumte Jungmädchenzimmer-Version. Die Gewaltszenen sind eher harmlos. Das Vorleben von Blanche, die nicht nur den elterlichen Besitz durch die Finger rieseln ließ, sondern auch als Lehrerin entlassen und mit Schimpf und Schande aus der Stadt gejagt wurde, weil sie einen Minderjährigen verführte, ist nicht wirklich aufregend. Und so plätschert die olle Kamelle über Lebenslügen dahin, bis am Ende Stanley wie immer alles in Grund und Boden gestampft hat. Seine Ehe, den amerikanischen Traum und die arme Blanche, die an den eigenen Lügen zerbricht und am Schluss immer in die Heilanstalt kommt.

Diesen Stoff über brutale psychische Verwundungen und ihre Folgen, für den Tennessee Williams einst den Pulitzer-Preis bekam verträgt keine niedlichen Traumlandschaften, durch die Dröse Cornelius Schwalm als Göttergatten und Heilsbringer (in die Anstalt) schickt. Dieser Stoff aus dem die Realität gebaut ist, benötigt mehr Realismus.

Für Schwager Stanley ist das Einnisten der scheinbaren Grande-Dame eine Provokation, die er schnell durchschaut. Erst will er wissen, ob aus dem ehemaligen Besitz der Schwestern noch Kapital zu schlagen ist, dann recherchiert er die Vergangenheit von Blanche, die immer weiter die Realität verliert. Letzte Hoffnung vor dem Zusammenbruch bietet da nur Stanleys Freund Mitch, der sich in die Problemfrau verliebt. Hier schafft die Regisseurin einen der wenigen Szenen, die ihr Inszenierungsmodell rechtfertigen könnten. Wie eine Ertrinkende klammert sich Blanche an den einfach gestrickten Mitch, der zu Hause eine sterbende Mutter hat. Mitten auf der ollen Straße bauen sich die beiden ein Picknick und kommen sich langsam näher. Doch auch diese Chance wird Blanche verwehrt. Im folgenden Gefühlschaos, das sie stundenlang im Badezimmer auslebt, vollzieht sich die Vernichtung der Persönlichkeit von Blanche, die mit Vergewaltigung durch Stanley und Irrsinn der beiden Schwestern endet.

20.12., 19:30 UhrKammerspiele BochumKarten: 0234-33335555