Die Gesellschafts-Kunst

Der Münchner Bildhauer Stephan Huber nahm gestern in Bremen den Rolandpreis entgegen. Das ist die älteste und möglicherweise noch immer einzige deutsche Auszeichnung für Kunst im öffentlichen Raum. Deren schlechten Ruf kann niemand besser Lügen strafen als Stephan Huber

„Wenn ich in den öffentlichen Raum gehe, muss ich mich der Gesellschaft als Ganzes stellen“

von Benno Schirrmeister

Stephan Huber hat den Bremer Rolandpreis bekommen. Gestern. Ein besonderer Preis, und dass der Geehrte gesagt hat, dass ihn das besonders freue, dürfte sogar mehr sein, als nur eine artige Floskel. Der Rolandpreis ist nämlich vielleicht immer noch die einzige, in jedem Fall aber die älteste Auszeichnung für Kunst im öffentlichen Raum. Den Rolandpreis, der zuerst auf den Namen Bremer Bildhauerpreis hörte, gibt es seit 1979. Er wird alle drei Jahre vergeben. Erster Preisträger war 1980 Alfred Hrdlicka.

Kunst im öffentlichen Raum gibt es natürlich schon viel länger. Man könnte sagen: Es gibt sie, seit es öffentlichen Raum gibt. Aber ein Kampfbegriff war Kunst im öffentlichen Raum vor allem in den 1970er-Jahren. Bremen, damals avantgardistisch, richtete als erste Verwaltung in Deutschland ein Referat dafür ein, Hamburg folgte und irgendwann hatte dann jedes städtische Kunstressort eines. Nicht immer war das, was die Referate angestoßen haben, wirklich inspiriert: Manchmal sind den KünstlerInnen nur Granitkugeln eingefallen, den einen polierte, den anderen nicht-polierte. Dann wurden halt Granitkugeln aufgestellt. Alternativ kamen kinderfreundliche Tierplastiken zum Einsatz: Edelstahlrobben in Hooksiel. Bronzeschweine in Bremen. Und woraus bestehen die Ratten in Hameln?

Okay, war’n Scherz. Der Rattenfänger fängt als Plastik nämlich gar keine Ratten. Und den Rolandpreis bekommt man nicht für Rattenfängerbrunnen. Aber: Das zeigt ja schon das ganze Dilemma der Kunst im öffentlichen Raum, oder besser: deren Bandbreite, die von gefälligem Kitsch über schroffe Provokation bis zur nichtssagenden Abstraktion reicht. Sie muss stören, weil’s sonst nur Dekoration ist. Und sie kann nur stören, weil sie ja im Weg steht, auf Straßen und auf Plätzen. Und sie darf nicht stören, weil ja jeder das gleiche Recht auf einen störungsfreien öffentlichen Raum hat. Oder, wie der 1952 im Allgäu geborene Huber gestern im Bremer Rathaus gesagt hat: „Wenn ich in den öffentlichen Raum gehe, dann muss ich mich der Gesellschaft als Ganzes stellen.“ Und: „Wenn man das nicht mitbedenkt, wird es nicht funktionieren.“

Das Mitbedenken ist ziemlich genau der Knackpunkt: Denn das heißt ja auch, dass da andere mitbestimmen dürfen. Deswegen war Kunst im öffentlichen Raum früher nie ein Thema, weil sie Ausdruck des herrschenden Regimes war: Meistens ging es darum, groß und mächtig zu sein. Also mussten Türme her, auf die dann oben eine Figur kam, die auch groß und mächtig war, wie Hermann im Teutoburger Wald. Oder der Bau erinnerte von selbst schon an ein Riesenschiff, möglichst nordisch und martialisch, wie das Marinedenkmal in Laboe. Oder man schuf eine Riesenfigur aus Stein, fünf Meter hoch und mit wuchtigem Schwert, wie den Bremer Roland: „Über den Kunstcharakter dieser Figur“, sagte gestern der Kunsthistoriker Robert Kudielka von der Berliner Universität der Künste in seiner Laudatio auf Huber, „kann man geteilter Meinung sein.“ Nicht jedoch über ihre „gesellschaftliche Rolle“. Und das ist das vielleicht das Entscheidende bei Kunst im öffentlichen Raum.

Pompöses Repräsentieren war nach dem Zweiten Weltkrieg zwar nicht mehr aktuell. Aber dafür entwickelten die städtischen Kunstverwaltungen Vorstellungen darüber, wie eine demokratische Kunst auszusehen habe. Beispielsweise: Partout nicht figürlich. Irgendwie auch spröde. Manchmal poliert, und manchmal nicht, und alles in allem doch: eine runde Sache.

Das war immer gut gemeint, aber das hat sich nicht immer richtig mitgeteilt. Und irgendwie ist die „Kunst im öffentlichen Raum“ dadurch in Verruf geraten, was schade ist, vor allem für die Kunst: Als im 19. Jahrhundert die Institution des Museums aufkam, schrieb der Publizist Alexis de Tocqueville, das seien doch das „Mausoleen der Kunst.“

Was im Umkehrschluss heißt: Leben kann diese nur draußen, im öffentlichen Raum, da, wo sie sich den Blicken aller stellt. Und sich jedermanns Urteil aussetzt. Und stört. Weshalb sie dort noch immer wilde Debatten auslöst. Zum Beispiel erinnern sich wahrscheinlich mehr Menschen an Jeff Koons’ nie realisierte Gummi-Entchen für den Hamburger Spielbudenplatz als an die letzten drei Jahresausstellungen der Kunsthalle.

Bei Huber ist es klar: Der beherrscht die Gratwanderung. Vielleicht, weil er weiß, dass die Kunst im öffentlichen Raum „für die Menschen lesbar sein“ muss. Also hängt er vor den Kunstverein in Hannover einen üppigen Kronleuchter, lässt ihn schwingen und nennt ihn „Das große Leuchten“. Das ist erst einmal sehr verständlich, und man kann darüber, wenn man mag, ins Nachdenken kommen: Vielleicht kommentiert der Leuchter ja die Blinkorgien der Reklame und der Schaufenster in der City. Vielleicht möchte Huber aber auch nur den Leuchter in Bewegung setzen. Jedenfalls: Es sieht gut aus, obwohl es beim Drunterduchfahren schon schwer irritieren kann.

Oder diese andere Installation, im westfälischen Münster: Da hat er Vitrinen mit Pferden aus filigranem Leuchtgespinst errichten lassen, das eine bäumt sich auf, das andere rast davon: Galoppierender Stillstand, direkt neben einer Hauptverkehrsader, wo Autos vorbeidüsen, und zwar mit 50 PS mindestens. Aber trotzdem nicht so schnell wie das Neonlicht.

Im öffentlichen Raum trete jedes Signet und jede Werbebotschaft, „die gesamte Möblierung der Städte“ mit dem Künstler in Konkurrenz, hat Huber einmal geschrieben. Und er hat sich dabei gefragt, ob es unter den Bedingungen sinnvoll sei, Kunst in den durchformatierten öffentlichen Raum zu stellen. „Eben drum“ wäre wahrscheinlich die passendste Antwort.