Spektakulärer als Ötzi

Göttinger Wissenschaftler untersuchen die „Mumie aus dem Eis“. Ihre Hoffnung ist, etwas über die Lebensumstände des skythischen Kriegers zu erfahren, der vor einem halben Jahr im Altai-Gebirge gefunden wurde

Der Mann scheint wohlhabend gewesen zu sein. Als der Krieger aus dem Volk der Skythen vor rund 2.500 Jahren bestattet wurde, kamen seine Waffen und zwei Pferde als Opfertiere mit ins Grab. Der Tote war in einen prachtvollen Pelzmantel gewandet, er trug kniehohe Stiefel und reich mit Blattgold verzierten Kopfschmuck.

Vor einem halben Jahr hatte der Fund der hervorragend erhaltenen Mumie weltweites Aufsehen erregt: „Mindestens so spektakulär wie Ötzi“, hieß es. Russische, mongolische und deutsche Forscher hatten die Grabstätte in einer Höhe von 2.500 Metern im südöstlichen Teil des Altaigebirges im Dreiländereck China-Russland-Mongolei entdeckt.

Jetzt sollen Knochen und Kleidungsstücke an der Universität Göttingen untersucht werden. Der dort lehrende Paläopathologe Professor Michael Schultz, der das Projekt leitet, gilt weltweit als Koryphäe auf dem Gebiet der Skelettforschung. Schultz und sein Team wollen den „Krieger aus dem Eis“ nicht nur genau vermessen und sein Gewicht und Alter zum Todeszeitpunkt bestimmen – bislang wird die Lebenszeit grob auf 30 bis 40 Jahre geschätzt. Die Wissenschaftler rechnen auch damit, Ernährungsgewohnheiten, Krankheiten oder Verletzungen, unter denen der Kämpfer zu leiden hatte, sowie die Umstände seines Todes rekonstruieren zu können. „Da sich der Körper dieses skythischen Kriegers gut erhalten hat, hoffen wir, wesentliche biografische Fakten dieses eisenzeitlichen Mannes aus dem Altai-Gebirge aufzudecken“, sagt Schultz, der in Göttingen über ausgezeichnetes Gerät verfügt. Dass der Leichnam „wie gefriergetrocknet“ in Göttingen ankam, kommt dem Wissenschaftler sehr entgegen.

An den Ausgrabungen in der Mongolei war auch Professor Hermann Parzinger beteiligt. Der Präsident des Deutschen Archäologischen Institutes in Berlin berichtet, dass die aus Lerchenholz gebaute Grabkammer die Jahrhunderte direkt auf einem Eisblock überdauert hatte. Die kalte und trockene Luft konservierte die sterblichen Überreste. Während der Schädel durch den Druck des Eises zerbrach, blieben vor allem Beine und Unterkörper so gut erhalten, dass die Archäologen schon im Sommer von einer „wissenschaftlichen Sensation“ sprachen.

Tot sei das Skelett aber auch 2.500 Jahre nach der Grablegung nicht, betonten gestern die Wissenschaftler. Bei einer ersten Überprüfung am Wochenende krabbelte ein Käfer auf den Knochen herum. Ein Jahr lang haben die Göttinger Wissenschaftler für ihre Untersuchungen nun Zeit. Dann wird die Mumie zurück in die Mongolei gebracht und der Akademie der Wissenschaften in der Hauptstadt Ulan Bator übergeben.

Über die Ausgrabungen in der Mongolei informiert auch der ZDF-Film „Das Geheimnis der Eismumie“. Er wird heute Abend um 20.15 Uhr in der Reihe „Schliemanns Erben Spezial“ gezeigt. REIMAR PAUL