Klimawandel? Nie gehört!

Die Erde wird wärmer, der Meeresspiegel steigt. Ihre Deiche wollen Niedersachsen und Bremen deshalb aber nicht extra erhöhen. Anders als in Schleswig-Holstein kennt auch ihr neuer „Generalplan Küstenschutz“ noch keinen Klimawandel

aus Bremen Armin Simon

Das dunkle Blau reicht ostwärts bis nach Rendsburg. Es erstreckt sich an der Elbe von Brunsbüttel bis nach Lüneburg, schwappt von Cuxhaven bis nach Achim hinter Bremen und lässt von Ostfriesland nur einen schmalen Landrücken frei. Es ist eine simple Simulation (http://flood.firetree.net), die nur Geländehöhen und den tidefreien Meeresspiegel kennt – in diesem Fall einen um fünf Meter erhöhten.

Zugegeben: Ganz so schnell wird dieses Szenario nicht eintreten. Der Wissenschaftliche Beirat globale Umweltveränderung der Bundesregierung hat dafür 300 Jahre veranschlagt – wenn es gelingt, den globalen Temperaturanstieg auf drei Grad zu begrenzen. Mit steigendem Wasser ist an der Nordseeküste indes schon in den nächsten Jahrzehnten zu rechnen. Ein Mehr an Meer von über einem halben Meter halten Klimaforscher für realistisch – von größeren Tidehüben, stärkeren Winden, heftigeren und häufigeren Sturmfluten und dem tektonisch verursachten „säkularen Ansteigen“ des Meeres zu schweigen.

Von einem „realen Gefahrenszenario, dem wir uns zu stellen haben“, spricht Wilfried Döscher, Geschäftsführer beim Bremischen Deichverband Rechts der Weser. 85 Prozent der Stadt stünden schon heute zweimal täglich unter Wasser, wenn die Deiche nicht wären. Döscher soll dafür sorgen, dass sie künftig stark und hoch genug sind. Dafür wird er bald streiten müssen.

Dazu zwingen wird ihn der „Generalplan Küstenschutz“, an dem der Niedersächsische Landesbetrieb für Wasserwirtschaft, Küsten- und Naturschutz (NLWKN) seit Monaten auch im Auftrag Bremens bastelt. Der legt für jeden Deichabschnitt zwischen Emden und Buxtehude sowie entlang der tideabhängigen Unterläufe von Elbe, Weser und Ems neue Sollhöhen fest. Basis der komplizierten Berechnung ist der prognostizierte Meeresspiegel der Zukunft: 25 Zentimeter höher als heute. „Das ist das, was am Pegel Norderney in den letzten 100 Jahren passiert ist“, begründet Herma Heyken, Sprecherin des NLKWN, den Ansatz.

Döscher hält das für nicht ausreichend. „Man kann den Klimawandel nicht außer Acht lassen“, mahnt er. Der Plan, den der NLWKN Anfang 2007 vorlegen will, schreibe nur die Entwicklung der Vergangenheit in die Zukunft fort. „Es gibt keinen Klimazuschlag“, kritisiert Döscher: „Das ist nicht besonders klug.“

„Klar ist, der Klimawandel ist da, und das wird Auswirkungen haben“, räumt Heyken ein. Auch die niedersächsische Landesregierung gehe davon aus, dass es zu einem Anstieg des Meeresspiegels kommt. Wie stark der jedoch ausfallen werden, könne niemand sagen. Die Vereinten Nationen etwa gehen von neun bis 88 Zentimetern bis 2100 aus. Das Potsdamer Institut für Klimafolgenforschung (PIK) sagt in einer aktuellen Vorabveröffentlichung des Wissenschaftsmagazins „Science“ für dasselbe Szenario einen Anstieg um 50 bis 140 Zentimeter voraus. „Es ist nicht klar, wohin die Reise geht“, findet Heyken.

Schon ohne den Klimawandel zu berücksichtigen, müssen die Deiche in Niedersachsen und Bremen teilweise um mehr als einen Meter aufgestockt werden – eine kostspielige Angelegenheit. 45 Millionen Euro im Jahr gibt Niedersachsen für derzeit für den Deichbau aus. Das Bremer Umweltressort rechnet allein für Bremerhaven mit einem Investitionsaufwand von 33 Millionen Euro, um die neuen Sollhöhen zu erreichen. Deiche und Küstenschutzbauwerke aufgrund möglicher Folgen des Klimawandels schon heute stärker und höher zu bauen, sei „aus finanziellen Gründen nicht möglich“, sagt Heyken.

Anders sehen das die KüstenschützerInnen in Schleswig-Holstein. Fast ein Viertel der Landesfläche gilt hier als „überflutungsgefährdete Küstenniederung“. Fünf Jahre ist es her, dass das Kieler Kabinett seinen „Generalplan Küstenschutz“ beschlossen hat, samt „integriertem Küstenschutzmanagement“ und mit einer Geltungsdauer bis 2010. „Natürlich haben wir da einen klimabedingten Anstieg des Meeresspiegels mit drin“, betont Christian Seyfert, Sprecher des Umweltministeriums. Die Nordlichter legten ihren Berechnungen einen Anstieg von 50 Zentimetern zugrunde. Der Klimawandel, hält die Landesregierung fest, „führt zu Risikoerhöhungen, denen im Rahmen einer vorsorglichen Planung zu begegnen ist“.

Niedersachsens Strategie dagegen lautet, so NLWKN-Sprecherin Heyken, „die Augen auf zu lassen“. Kontinuierlich beobachte ihre Behörde den Pegel Norderney. Zeige sich ein beschleunigter Anstieg, könne sie rechtzeitig reagieren. Zumal bei Arbeiten an der Deichlinie die Fundamente schon jetzt so stark ausgelegt würden, dass die Deichverbände „problemlos noch einen Meter höher“ bauen könnten. „Damit haben wir Spielraum nach oben“, sagt Heyken.

Die Bremer DeichschützerInnen beruhigt das nur mäßig. Gerade in der Innenstadt und im Hafen lassen sich Deichaufstockungen nur mit immensem Aufwand realisieren. Solle er die Stadt zuverlässig vor künftigen Fluten schützen, müsse er „alle Register ziehen“, sagt Döscher. Das könne auch „Vordeichen, Rückdeichen oder Neudeichen“ an anderer Stelle heißen – um den Druck der Wassermassen auf die Stadt zu mindern.

Döscher befürchtet, dass von all dem im Generalplan Küstenschutz wenig zu lesen sein wird. Werde der Klimawandel mit seinen Auswirkungen darin nicht ausreichend berücksichtigt, „dann werden wir sagen: Wir wollen mehr“. Ob der Meeresspiegel in Bremen nun 50 oder 80 Zentimeter steigen werde, wagt auch Döscher nicht vorherzusagen. Ob er aber überhaupt berücksichtigt werde oder nicht, „das ist in gewisser Weise auch eine politische Entscheidung“.