Der tägliche Kampf mit der Wollhandkrabbe

Jürgen Vaupel befährt als einer der letzten Berliner Berufsfischer die Havel. Aale und Plötzen zieht er aus dem Fluss – und manchmal auch Exotischeres

Text Stefan Otto
Fotos Santiago Engelhardt

„Was man heutzutage so fängt.“ Jürgen Vaupel wirkt nicht gerade begeistert, als er einen großen Krebs in der Reuse entdeckt. Vorsichtig zieht er das rund dreißig Zentimeter lange Tier an einem Bein heraus und wirft es durch eine Luke, wo es in ein Wasserbecken klatscht. „Das ist eine Wollhandkrabbe“, erklärt der Fischer. „Mit ihren Scheren reißen sie Löcher in die Netze.“

Auf der Unteren Havel dämmert gerade der Morgen. So früh ist außer Vaupels Kahn kaum ein anderes Schiff unterwegs. Der 63-jährige, hochaufgeschossene Mann in Windjacke und wasserdichter Hose sitzt hinten im Boot. Ein Stück Styropor dient ihm als Sitzkissen, neben ihm knattert der Außenbordmotor. Alle paar Tage befährt er den Flussabschnitt südlich der Heerstraße und schaut nach den Reusen, die er in Ufernähe aufgestellt hat.

Die Wollhandkrabben kann Vaupel durchaus verkaufen: an asiatische Restaurants. Die Scherentiere stammen ursprünglich aus China; von Handelsschiffen eingeschleppt, haben sie sich von Hamburg aus über die Elbe bis in die Havel ausgebreitet. Schlecht zu sprechen ist der Fischer auf sie, weil Aale aus den durchlöcherten Reusen entweichen können. Und auf diese Fischart hat er es vor allem abgesehen: „Geräuchert bringen Aale gutes Geld. Die Krebse dagegen richten mehr Schaden an, als sie durch den Verkauf Gewinn einbringen.“

Vom Vater gelernt

Jürgen Vaupel ist einer der letzten Berufsfischer von Berlin. Das Handwerk hat er von seinem Vater gelernt, seitdem ist er nie einer anderen Beschäftigung nachgegangen. Er weiß genau, wo die besten Fangplätze sind, dort stellt er die Reusen auf. Dazu spannt er Netze in Wasser, die vom Ufer mehrere Meter wegführen. An ihnen schwimmen dann die Fische entlang bis in die Reuse, eine Vorrichtung, aus der sie nicht entkommen können.

Vierzehn Reusen steuert der schweigsame Mann an diesem Morgen an. Die Arbeit ist immer die gleiche: Der Fang wird ins Boot geholt und sortiert. Verendete Tiere kommen in eine Tonne, die holt dann die Tierkörperbeseitigung ab. Vaupel schöpft mit einer Plastikschaufel Wasser aus dem Boot, flickt aufgerissene Netze zusammen und positioniert die Reusen erneut im Wasser. Und er wirft dutzende Krabben in den Bottich. Weiß er, wie die zubereitet werden? „Keine Ahnung“, sagt er und grinst. Seine chinesischen Abnehmer, die könnten das, für die sei das eine Delikatesse.

Der Havelfischer genießt es, wenn er den Fluss morgens für sich hat. Schon über der ersten Reuse kreisen Möwen und schreien. „Jaja“, ruft Vaupel zurück. „Ihr wundert euch, dass ich heute hier anfange.“ Die Vögel warten auf die kleinen Fische, die Vaupel ins Wasser zurückwirft. „Früher waren es nur Lachmöwen. Seit ein paar Jahren sind die Seemöwen hinzugekommen“, sagt er. „Die kannte ich vorher nur aus dem Urlaub.“

Außer Aal holt Vaupel Plötzen aus dem Wasser. Plötzen kommen in einen eigenen Bottich, noch am Nachmittag liefert er sie an thailändische Köche. In deutschen Küchen ist der Weißfisch wegen seiner vielen Gräten kaum gefragt. Aber die Thais legen ihn in Salz ein, erzählt Vaupel. Dadurch lösen sich die Gräten nach ein paar Tagen auf.

Vor allem Stammkunden kaufen beim Fischer. Ist der Fang einmal besser, beliefert er auch Restaurants. Insgesamt bleibt es ein bescheidenes Auskommen. „Fischer gehörten noch nie zu den reichen Leuten“, sagt Vaupel und reibt mit einem Handtuch Spritzwasser von seiner Brille, „trotzdem hat unser Gewerbe eine lange Tradition.“ Im 15. Jahrhundert gewährte Kurfürst Joachim II. den Fischern im Berliner Raum ewige Fangrechte. Die waren bis 1916 an ein Grundstück gebunden und wurden von einer Generation zur nächsten weitergegeben. „Die Fischer dachten schon so oft, jetzt lohnt sich die Arbeit nicht mehr – und doch können wir bis heute davon leben.“ Vaupel klagt nicht. Auch wenn er unter Billigimporten aus Osteuropa leidet und sich wünscht, die Fischpreise würden wieder steigen.

Eigentlich kommt Jürgen Vaupel aus Tiefwerder im ehemaligen Mündungsdelta der Spree zwischen Charlottenburg und Spandau. Schon seit dem frühen 19. Jahrhundert hatten die Havelfischer in der Dorfstraße ihre Häuser, an die die Fischereirechte gebunden waren. Das Grundstück seiner Vorfahren musste Vaupel allerdings verkaufen. Jetzt hat er einen Schiffsanleger mit Schuppen am Stößensee, wo das Notwendigste untergebracht ist: Stellnetze, Werkzeug und Arbeitskleidung, Bojen und Benzinkanister.

Vaupel deutet auf ein weitläufiges Villenanwesen, das auf Gatower Seite an die Havel grenzt. Es gehört dem Unternehmer und Mäzen Hartwig Piepenbrock. Einmal hat dessen Verwalter vom Fischer verlangt, seine Reusen zu entfernen. Die mit rot-weißem Absperrband und einer Baulampe vorschriftsmäßig markierten Stangen passten nicht ins Bild. Aber ganz so einfach ist das nicht: „Die Fangrechte für diesen Havelabschnitt gehören mir. Wenn ich die Reusen abbauen soll, muss ich dafür entschädigt werden“, sagt der Fischer schmunzelnd. „Und dazu ist es bisher nicht gekommen.“

Piranhas im Netz

Die Sonne glitzert auf dem Wasser. Ein Flugzeug zieht einen Kondensstreifen am Himmel, im Hintergrund murmelt der Verkehr auf der Heerstraße. An der vorletzten Reuse holt Fischer Vaupel einen Exoten aus dem Netz. Etwa 25 Zentimeter groß, roter Bauch, blauer Rücken. Auffallend: der bullige Kopf. „Ein Piranha“, sagt Vaupel und lässt den Amazonasfisch ins Krebsbecken gleiten. „Die werden manchmal ausgesetzt“, erklärt er seinen ungwöhnlichen Fang. „Ein Kollege wurde letztens in den Finger gebissen. Kann passieren“, meint er lakonisch.

Ein paar Wochen später. Die Aale sind flussabwärts gezogen, Vaupel hat gerade die letzten Reusen abgebaut. Dazu müssen die Pfähle, die an der Wasseroberfläche harmlos und schmal aussehen, aus dem Wasser gezogen werden. Neun Meter sind sie lang. „Das war eine ganz schöne Rackerei“, sagt Vaupel. „Die Hölzer haben sich mit Wasser voll gesogen und sind viel schwerer als im Frühjahr.“ Geholfen hat ihm sein Kollege Willi Manth. Der 69-Jährige ist oft mit Vaupel auf der Havel unterwegs, obwohl er schon lange pensioniert ist. Vier Hände sind besser als zwei, meint Vaupel.

Den Winter über wird mit Stellnetzen gefischt. Die werden mit dem Wind ausgeworfen und gegen den Wind eingeholt. Statt Aalen landen jetzt Bleie und Rapfen, Zander und Hechte in den Bottichen. Der Piranha sei ihm eingegangen, berichtet Vaupel. Ausgesetzte Raubfische findet man jetzt nicht mehr in Berliner Gewässern, die niedrigen Temperaturen überleben die Exoten nicht. Den Fischern macht die Kälte dagegen wenig aus. „Wir fahren weiter raus“, sagt Vaupel, „jedenfalls solange es eisfrei ist.“