Der verlorene Sohn

In Bremens Musikclubs erinnert man sich daran, wer Mitte der 90er-Jahre für die Rehhagel-Mannschaft die Freikarten organisiert hat. Da tauchte ein freundlicher Mann an der Kasse auf und bewies frühes organisatorisches Talent: Dietmar Beiersdorfer, der später als einer der ersten Ex-Profis Betriebswirtschaft studierte und in einer Unternehmensberatung arbeitete.

Mit dieser damals noch seltenen Kombination aus sportlicher und wirtschaftlicher Kompetenz führte der Franke seinen späteren Klub HSV von 2002 bis 2009 regelmäßig in den Europapokal, einmal sogar in die Champions League. Als er nach einem Zerwürfnis mit dem damaligen Boss Bernd Hoffmann ging, verlor der HSV nach Ansicht vieler Anhänger seine letzte Identifikationsfigur – eine, der man zutraute, Herz und Kommerz in Einklang zu bringen. „Die Kompetenzüberschreitungen hatten zuletzt System“, klagte Beiersdorfer nach seinem Abgang. „Dem HSV geht die Seele verloren.“

Während beim HSV der Technokrat Hoffmann die Talfahrt einleitete, standen die nächsten Beiersdorfer-Arbeitgeber auch nicht gerade für das menschliche Antlitz des Fußball-Geschäfts. Der Red-Bull-Konzern und Zenit St. Petersburg, hinter dem der Gazprom-Konzern steht, verkörpern im Gegenteil Musterbeispiele jener Investoren-gesteuerten Kunstprodukte, für die sportlicher Erfolg vor allem ein betriebswirtschaftliches Rechenexempel zu sein scheint.

Mit seinen Erfahrungen in diesen Unternehmen könnte Beiersdorfer für den Vorstandvorsitz der neu gegründeten HSV AG genau der richtige Mann sein. Mit dem angenehmen Nebeneffekt, dass „Didi“ mit seiner Credibility einen Großteil jener HSV-Anhänger einbindet, die dem neuen Weg ablehnend gegenüberstehen.

Allerdings hat Beiersdorfer es beim HSV nicht mit sprudelnden Geldquellen zu tun, sondern mit einem Sanierungsfall, den 100 Millionen Euro Schulden drücken. Die von Investor Klaus-Michael Kühne angekündigten 20 Millionen reichen gerade einmal für die Herstellung der Arbeitsfähigkeit. Umso wichtiger wird es sein, dass Beiersdorfer möglichst schnell Klarheit schafft, auf welches Team er in der sportlichen Leitung mit Sportdirektor, Trainer, Nachwuchschef setzt.

Verstörend wirken da die Aussagen des künftigen Aufsichtsratschefs und Kühne-Vertrauten Karl Gernandt, der versprochen hatte, sich aus sportlichen Dingen herauszuhalten, aber nun öffentlich die Weiterbeschäftigung von Trainer Mirko Slomka infrage stellt. Wenn Beiersdorfer, den russische Medien wegen seiner angeblich zögerlichen Art mit Hamlet verglichen, nicht aufpasst, ist er schon bei Amtsantritt ein Getriebener.RALF LORENZEN