Das Krankenhaus als Selbstbedienungsladen

Zeuge Ziemann vor dem Klinik-Ausschuss: „Herr Lindner machte seinen Kringel, dann ging das in die Buchhaltung“

„Ich habe die Personalakte gesehen – wenn man das so nennen darf“

150 Aktenordner haben die sechs Mitglieder des parlamentarischen Untersuchungsausschusses zum Bremer Klinik-Skandal bereits gewälzt, jetzt beginnt die Vernehmung von insgesamt 20 Zeugen. Den Anfang machte gestern der vom Sozialressort eingesetzte Sonderermittler Hans-Jürgen Ziemann. Der Ausschuss unter Vorsitz der grünen Fraktions-Chefin Karolin Linnert will klären, warum der auf etwa 15 Millionen Euro bezifferte Verlust der kommunalen Krankenhäuser durch unsaubere Machenschaften der Geschäftsführer nicht erst nach anderthalb Jahren entdeckt wurde.

Ziemann sollte insbesondere darlegen, wie es aus seiner Sicht überhaupt zur Einstellung des wegen Steuerhinterziehung vorbestraften Andreas Lindner als Geschäftsführer des Klinikums Bremen-Ost kommen konnte – noch im Februar 2006 hatte ihn Gesundheitssenatorin Röpke (SPD) gar als künftigen Leiter des Klinikums Mitte im Blick. „Auf den ersten Blick“ sähe Lindners Bewerbungsmappe ganz normal aus, erläuterte Ziemann. Bei genauerem Hinsehen – „und das kann bei den Unterlagen der vier letzten Bewerber durchaus erwarten“ – falle allerdings auf, dass Abschlusszeugnisse fehlten und Briefköpfe manipuliert seien. Im Übrigen habe offenbar niemand die Entscheidung treffen wollen, ob sich die Einholung eines polizeilichen Führungszeugnisses „bei so hohen Herren, die so viel Geld verdienen“ anstandshalber verbiete oder nicht.

Eine Schlüsselrolle bei Lindners Einstellung habe Wolfgang Tissen gespielt, führte Ziemann weiter aus – der war damals Holding-Chef der „Gesundheit Nord GmbH“. Dessen Einstellung basierte offenbar auf einer noch dürftigeren Basis. Ziemann: „Ich habe die Personalakte gesehen – wenn man das so nennen darf.“ Keine Zeugnisse, kein Lebenslauf, das Sozialressort vertraute offenbar vollständig auf das Gutachten eines Headhunters. Der wiederum war, so Ziemann, beauftragt worden, nachdem Tissen bei einer Arbeitsgruppe zur Umstrukturierung des Krankenhauses Bremerhaven-Rankenheide positiv aufgefallen war. Ein Emissär Tissens habe daraufhin gegenüber dem Abteilungsleiter des Gesundheitsressorts Tissens Bewerbungsinteresse signalisiert. Andernorts waren die Misserfolge des gelernten Krankenpflegers Tissen als Krankenhaus-Manager – nachweislich zahlreicher Zeitungsartikel – zu diesem Zeitpunkt längst bekannt.

Lindner und Tissen kannten sich aus ihrer gemeinsamen Zeit am katholischen Maternus-Krankenhaus. Später nahm Tissen bei Lindner einen Privat-Kredit auf. Tissens luxuriöses Anwesen, das offenbar der Grund für die Verschuldung ist, hat Ziemann besichtigt, auch bei seinen Recherchen im Klinikum Ost sei er nicht behindert worden, erklärte der Sonderermittler gestern auf Fragen von Linnert. Allerdings sei er bei seinen Nachforschungen stets auf „Einzelerkenntnisstände“ getroffen – offenbar ermöglichte Lindner seine Scheinverträge mit Beratern und ihm selbst gehörenden Privat-Kliniken durch gezielte Informationsselektion. Selbst Nachfragen aus dem Klinik-Vorstand, etwa wegen der überraschenden Verlegung der Geriatrie-PatientInnen nach Rastede, seien abgeblockt worden, hat Ziemann rekonstruiert.

Die Geschäftsführungspraxis in Kurzform: „Herr Lindner machte seinen Kringel, dann ging das in die Buchhaltung.“ Die „sachliche Richtigkeit“ der Anweisung habe Lindner gleich selbst bestätigt. HB

Die öffentliche Beweisaufnahmen wird heute fortgesetzt mit Staatsrat a. D. Arnold Knigge, morgen folgt Senatorin a. D. Karin Röpke. Jeweils zwischen 10 und 18 Uhr im Börsenhof A, Raum 416, Eingang Marktstraße