Leukämie-Opfer suchen Atomunfall-Zeugen

Bürgerinitiative gegen Leukämie in der Elbmarsch sieht „lückenlose Indizienkette“ für vertuschten Atomunfall im Forschungszentrum Geesthacht. Der von diesem mit Bodenanalysen beauftragte Experte meldet Klärungsbedarf an

Die Bevölkerung soll jetzt helfen, die extrem hohe Kinderleukämierate in der Elbmarsch aufzuklären. Die dortige Bürgerinitiative (BI) und Mitglieder der ehemaligen schleswig-holsteinischen und niedersächsischen Leukämiekommissionen haben die Zeugen eines mutmaßlichen Atomunfalls gebeten, sich zu melden. Es gebe eine „lückenlose Indizienkette“ dafür, dass am 12. September 1986 im Gebiet um die beiden Atomanlagen in Krümmel und Geesthacht viel Radioaktivität freigesetzt worden sei, sagte der Sprecher der BI und SPD-Landtagsabgeordnete Uwe Harden. Dieser Unfall sei als Ursache für die hohe Zahl an Blutkrebserkrankungen anzusehen. „Nur über das Ereignis selbst wissen wir nichts“, bedauerte Harden.

Der Appell richtet sich insbesondere an derzeitige und ehemalige MitarbeiterInnen des Forschungszentrums Geesthacht (GKSS) und des benachbarten AKW Krümmel, die sich an einen von offizieller Seite bestrittenen Brand, Unfall oder Aufräumarbeiten erinnern. Auch Feuerwehrleute, ArbeiterInnen sowie MitarbeiterInnen staatlicher Aufsichts- und Gesundheitsbehörden könnten möglicherweise Hinweise geben.

Erst wenn man wisse, was wirklich passiert sei, könne man die Gefahren abschätzen und für Schutz sorgen, unterstrich Otmar Wassermann, vormals Vorsitzender der schleswig-holsteinischen Kommission. Die Zahl der an Leukämie oder eventuell strahlungsinduzierter Blutkrankheit leidenden Kinder im Fünf-Kilometer-Radius um die beiden Atomanlagen ist vor kurzem erneut um zwei auf nun 18 gestiegen – das größte Kinderleukämie-Cluster weltweit.

Auftrieb bekam die Debatte um einen möglicherweise vertuschten Unfall durch eine Analyse eines Professors der Sacharow-Universität Minsk. Der wies in Bodenproben aus der Elbmarsch erhöhte Plutonium- und Thorium-Konzentrationen in eigenartigen Kügelchen nach – wie schon WissenschaftlerInnen aus Marburg und Gießen 2002.

Die GKSS konterte vergangene Woche mit einer Analyse des Frankfurter Mineralogen Axel Gerdes. Der fand zwar „hunderte von Kügelchen“ unterschiedlicher Größe. Laut GKSS sind diese aber alle „von harmloser Herkunft“. Die Widersprüche zwischen beiden Analysen kann Gerdes nicht erklären. Dafür müsste man „noch mal gezielt zusammen Proben nehmen“. Hier geh es nicht um einen wissenschaftlichen Streit, vermutet Harden: „Hier geht es um einen Kriminalfall.“ Armin Simon