fellverwandtschaften von ULRIKE STÖHRING
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Der Mensch kommt ohne Fell zur Welt, und meistens wächst es auch später nicht in ausreichender Menge, was im Winter selbst den freizügigsten Charakter vor gewisse Probleme stellt. Er bzw. sie braucht Kleidung. In meinem Falle gern ohne weltanschauliche Statements. Ich möchte weder meterhohe Label-Namen noch komisch gemeinte Aufdrucke durch die Landschaft tragen.

In regelmäßigen Abständen liege ich deshalb vor Verkäuferinnen auf den Knien, die mein Flehen um ein unbedrucktes Kleidungsstück einfach nicht erhören können, denn es findet sich keines im Sortiment. Meine Klage, dass ich die Scheußlichkeiten, die derzeit als Achtzigerjahre-Retro-Look angeboten werden, bereits im Original durchlitten habe, quittieren sie mit einem strengen „Oma erzählt wieder von der Flucht“-Blick.

Den Auswüchsen der Textilbranche kann aber niemand entgehen, gibt es doch an jeder Ecke inzwischen Läden, wo die wenigen dekorlosen T-Shirts mit Sprüchen beflockt werden. Irgendwann steht man dann fassungslos einer eher phlegmatischen Kollegin gegenüber, über deren Busen sich die Aufschrift „Drama-Queen“ spannt. Eines Tages muss ich wohl notgedrungen auch etwas Beschriebenes tragen. Nur was? Und was wäre für mich das Richtige? Ich starte also einen Rechercheversuch und scheitere gleich kläglich.

Verschüchtert betrete ich ein Geschäft und inspiziere das Sortiment. Der Besitzer springt gleich auf mich zu und zwinkert mir zu, als ob er genau weiß, was auf meine Brust soll. Meine einzige und brennende Frage will er allerdings nicht beantworten. So werde ich nie erfahren, welcher des Lesens kundige Mensch sich freiwillig ein Dress mit der Auskunft „Ich bin wieder lieb“ überziehen soll. Wahrscheinlich war er aber auch nur sauer, weil sich diese Modelle nicht recht verkaufen. Nach Weihnachten gibt er sie dann wohl als Kleiderspende an ein Frauenhaus.

An einer Bude auf dem Markt stelle ich fest, dass auch die geistfernsten Sprüche den Sprung von den Bürokaffeetassen auf die lebende Litfasssäule geschafft haben. „Hetzen Sie mich nicht, ich bin hier auf der Arbeit und nicht auf der Flucht“ ist so einer. Dieses T-Shirt wäre sehr gut als Dienstkleidung für launige Mitarbeiter im Amt für Asylangelegenheiten.

Manche Menschen brauchen auch gar keine beschrifteten Hemden mehr. Sie müssen Buttons tragen wie die Verkäuferinnen im Supermarkt: „Ich habe Herz“ ist dort zu lesen, und man kann sich sicher sein, dass sie eins haben, obwohl sie von der Geschäftsleitung genötigt wurden, sich die überdimensionierten Anstecker an die Brust zu heften. Dabei sind Herz und Gesicht verständlicherweise nicht immer in Einklang zu bringen. Vor allem wenn man noch nicht mit allen Gegebenheiten des Wirtschaftswesens vertraut ist. So weist eine an den Tücken des Kartenlesegeräts sichtlich verzweifelnde Auszubildende stumm und resigniert auf das Schildchen an ihrer Bluse: „Ich lerne noch“ steht da.

An diesen Satz von tiefer buddhistischer Weisheit muss ich denken, als mir ein höchstens zehnjähriges Mädchen begegnet, auf dessen T-Shirt das Bekenntnis „I’m a virgin“ prangt. Oh, das will ich mal sehr für dich hoffen, murmele ich betreten.