Lehrer sollen Neues wagen

Dicke Luft im Klassenzimmer schafft ein ungesundes Schulklima – das oft von den Lehrern miterzeugt wird. Erfahrungen einer Schulberaterin aus der Rütlischule

Die Eindringlinge tarnten sich als Köche. Einen Kurs zur gesunden Ernährung wollte die „Initiativgruppe Gesund“ anbieten. Die Mitarbeiter arbeiten seit Jahren mit Berliner Schulen zusammen, vorzugsweise im Reuter-Kiez, bundesweit bekannt als Rütli-Kiez.

Auch an die Pforte der gleichnamigen Schule klopften die Mitarbeiter. Doch das Interesse der Lehrer blieb lau. „Die wollten sich nicht in die Karten gucken lassen. Die Disziplinprobleme, die es damals schon gab, all das sollte hübsch unter der Decke bleiben“, vermutet Regina Stolzenberg.

Stolzenberg arbeitet hauptamtlich an der TU Berlin auf dem Fachgebiet Gesundheitssoziologie. Sie kennt die Probleme – Übergewicht tritt bei sozial Benachteiligten doppelt so häufig auf wie in der obersten Schicht.

Das weiß auch Hans-Jürgen Ahrens, Chef des Bundesverbands der Ortskrankenkassen. In einer Langzeitstudie ließ die AOK „Schüler laufen, springen, hüpfen“. Seitdem weiß die AOK, es geht bergab mit der Jugend – und die Schere zwischen Arm und Reich geht auf. Ein Teil der Kinder werde schon früh auf Höchstleistung getrimmt – die Eleven; ein anderer von klein auf abgehängt. Daher wollen die Ortskrankenkassen 2007 das Projekt „Gesunde Kinder, Gesunde Zukunft“ starten – mit Kursen zu gesundem Essen und Bewegung.

„Das Hauptproblem ist, dass oftmals nur ein geringer Teil des Lehrerkollegiums bereit ist, Neues zu wagen“, berichtet indes Regina Stolzenberg von ihrer Arbeit vor Ort. Nicht die Hauptschüler sind das Problem, sondern die Lehrer. „Heute laufen an der Rütli-Schule Projekte, sogar 14-Jährige lassen sich noch dafür begeistern.“ Dabei, möchte man denken, sei in diesem Alter der Zug abgefahren. Irrtum, so Stolzenberg: „Man kann sehr viel erreichen, wenn man Schüler ernst nimmt und sie respektiert.“

Doch genau daran mangle es einigen Lehrern, beobachtet sie. Unterricht sei für sie Kampf, und danach sehe es im Klassenzimmer oft aus: „Die haben die Schüler angeschrien und kommandiert“, erinnert sich eine Sozialarbeiterin.

Deshalb fordert Stolzenberg, mit Prävention zuerst einmal bei den Lehrern anzusetzen: Lehrer hätten die Macht, ein positives Schulklima zu schaffen. Eine engagierte Lehrerin könne ungeheuer viel für ihre Schüler tun. Oft berichteten Mitarbeiterinnen, dass erst ihre tolle Lehrerin sie fürs Abitur motiviert habe. „Nur die exzellentesten Lehrer müssten in diese Kieze gehen.“

Das Gegenteil ist meist der Fall: Viele können sich nicht mit dem Kiez identifizieren, sie wurden oftmals dorthin zwangsversetzt. Nach Schulschluss haben sie nur noch das Bestreben: bloß weg hier.

„Wir müssen die Fähigkeit der Lehrer fördern, sich einzustellen auf Kinder, die anders sind“, sagt Stolzenberg. Über 90 Prozent der Menschen im Reuter-Kiez haben einen nichtdeutschen Hintergrund. Seit einiger Zeit gibt es an der Schule interkulturelle Moderatoren. Das sind Sozialarbeiter, die Eltern, Lehrer und Schüler zusammenbringen. Ihr Vorteil ist, dass sie selbst aus arabischen oder türkischen Elternhäusern kommen, sie können die Eltern in deren Sprache ansprechen.

Aber nicht nur: Der Clou der interkulturellen Moderation sei, dass nicht nur die Eltern begreifen sollen, wie es in Deutschland läuft, sagt Regina Stolzenberg. „Auch die Lehrer müssen lernen, mit den kulturellen Besonderheiten ihrer Schüler klarzukommen. Integration ist eben keine Einbahnstraße.“ Das Ziel der Initiativgruppe ist deshalb, dass alle Schulen mit einem Ausländeranteil von über 50 Prozent solche Sozialarbeiter beschäftigen. Zum Wohle aller. ANNA LEHMANN