Schöne Bescherung!

Geschenke zu Weihnachten sind eine nette Erfindung – meistens leider völlig unbrauchbar. Aber selbst dafür gibt es jetzt eine Lösung: Schrottwichtel-Partys

VON BARBARA DRIBBUSCH

Die Sache mit der Mülltonne ist heikel. „Wenn du da ein Geschenk reinschmeißt, wird das von Nachbarn gleich entdeckt“, befürchtet Karin. Die 42-jährige Mieterin in Berlin-Charlottenburg hat mit ihrer Hausgemeinschaft „Schrottwichteln“ gespielt. Dabei schenken sich die Teilnehmer gegenseitig scheußliche Dinge, die sie selbst einmal bekommen haben und schon immer loswerden wollten, anonym und hübsch verpackt. Doch selbst beim Schrottwichteln „muss man auf gewisse Gefühle Rücksicht nehmen“, so Karin. Und ein Geschenk erkennbar für den Gebenden wegzuschmeißen – das ist immer noch ein Tabubruch.

„Schenken ist soziales Handeln“, meint der Geschenkeforscher Friedrich Rost aus Berlin. Wobei das soziale Handeln ziemlich Stress machen kann. Schließlich werden 96 Prozent aller Geschenke zu konkreten Anlässen überreicht, stellen also eine Verpflichtung dar. Meistens schenken sich die Beteiligten Dinge, die sich der Bedachte im Zweifelsfall auch selbst hätte leisten können. Kommt noch der Überraschungszwang hinzu, wird es besonders schwierig: Das Geschenk wird dann gewissermaßen zum Prüfstein dafür, wie gut man sich in den Beschenkten einfühlen kann. So viel Stress war selten. Und nur Größenwahnsinnige glauben, mit ihrer Wahl des Parfüms („Mit Donna Karan kannst du nichts falsch machen.“) oder Biografien von Ex-Politikern immer richtig zu liegen.

Leider gibt es in der empirischen Forschung keine Daten darüber, wie das Verhältnis nutzloser Gaben zu sinnvollen Präsenten aussieht. In der Ratgeberliteratur zum Drama des Schenkens gab es dagegen immer auch Tipps, wie man mit ungeliebten Gaben umzugehen hat. Schon in den 50er-Jahren empfahl ein Benimm-Ratgeber: „Selbst wenn man ein unerwünschtes oder geschmackloses Geschenk bekommen hat, muß man gute Miene zum Spiel machen.“ Das ist nicht immer einfach, sind unsere engeren Beziehungen doch auf dem Wert der Ehrlichkeit aufgebaut.

In den vergangenen Jahren hat sich eine Lösung für das Geschenkedilemma entwickelt: Man schenkt sich am Heiligabend nur wenig, von den Gaben an die Kinder mal abgesehen. Um das Soziale in der Weihnachtszeit zu pflegen, lädt man stattdessen zur subversiven Schrottwichtelparty. Hier sind die Geschenke gleich von Anfang an geschmacklos, und niemand wird vom geselligen Beisammensein ausgeschlossen, weil er sich keine teuren Gaben leisten kann. Schrottwichteln ist die demokratischste Form des Gabentauschs im Hartz-IV-Zeitalter.

Ein Schrottwichtel-Geschenk, kurz SWG genannt, ist ein Gegenstand, den man in der Regel früher mal selbst geschenkt bekommen und dann irgendwo gelagert hat. Weil ja mal Zeiten anbrechen könnten, wenn man den grün-violetten Fächer, den Flaschenträger mit Teak-Griff oder die Tschibo-Kaffeemühle doch noch gebrauchen könnte. Wichtig: Das Ding muss richtig hübsch verpackt werden.

Verteilt werden die Geschenke dann beispielsweise über das Nummernsystem, ähnlich wie beim Julklapp. Dabei zieht jeder eine Nummer und bekommt dann das zugehörige Geschenk, ohne unbedingt zu wissen, wer der Absender ist. Man kann die SWG auch auf einen Haufen legen. Anschließend gibt es eine Würfelrunde: Wer eine eins oder sechs wählt, darf ein Geschenk nehmen. Wer wieder eine sechs wählt, muss sein Geschenk auspacken. Wer eine weitere sechs wählt, muss das SWG gegen ein anderes bereits ausgepacktes Geschenk tauschen. Es soll SWGs geben, die auf diese Weise schon mehrere Weihnachten durch Parties tourten. Für den Gewinner des schlimmsten SWG wartet zumindest in England sogar ein Trostpreis: der „Booby Price“, ein Scherzpreis, der auch für die schlechtesten Teilnehmer bei Quizsendungen vergeben wird.

„Die soziale Beziehung geht in das Schenken ein“, sagt Ann-Elisabeth Auhagen, Privatdozentin am Fachbereich Psychologie der Freien Universität Berlin. Auch Auhagen hat sich in ihrer Forschung vom üblichen Gabentausch gelöst und sich mehr mit dem Schenken als eigentlich gute Tat beschäftigt. Die ist weder vom Geld noch von ritualisierten Anlässen abhängig.

Für ihre Forschung bildete Auhagen zwei Gruppen von je 20 Erwachsenen, die innerhalb von zwei Wochen jeden Tag für sie ungewöhnliche Taten vollbringen sollten. Die eine Gruppe sollte ihren Mitmenschen vor allem Gütiges tun, die andere eher Humoriges. Die Leute ließen beispielsweise in einer Warteschlange mal andere vor. Sie riefen FreundInnen an, bei denen sie sich lange nicht gemeldet hatten, und hörten sich geduldig deren Sorgen an. Sie lobten die Kassiererin im Supermarkt und plauderten lange mit Obdachlosen auf der Straße. Sie schickten einer Tante eine überraschende Karte. Die Menschen aus der humorigen Gruppe sangen auch mal in der Öffentlichkeit oder hüpften die Straße entlang.

Die ungewohnte Zuwendung an die Mitmenschen brachte ein überraschendes Ergebnis. „Die Konsequenzen waren besser als erwartet“, schildert Auhagen. Die angesprochenen Leute freuten sich über die Aufmerksamkeit, und die Teilnehmer an der Studie fühlten sich an diesen Tagen besonders gut. Außerhalb der bekannten Anlässe wie etwa Weihnachten habe „Zuwendung eine eigene Qualität“, erklärt Auhagen. Eben nicht nur zu festgelegten Anlässen, sondern überraschend auch mal etwas zu geben, wirkt eindrücklicher als das Überreichen von bunten Paketen zum 24. Dezember.

Schrottgeschenke tauschen, Kassiererinnen loben und Überraschungskarten schicken sind jedenfalls nicht an die Jahreszeit gebunden. Und mitunter finden auch abwegige Gaben jemanden, der sich darüber freut: Das Werbeplakat von „Intourist“ zu Talinn mit den rot-weiß folkloristisch gekleideten Damen im Vordergrund, ein echtes SWG, ziert heute den Treppenaufgang eines Reihenhauses in Berlin.