IM GESUNDHEITSSTREIT HAT DIE SPD MEHR ZU VERLIEREN ALS MERKEL
: Solidarität ist kein Thema mehr

Der Streit zwischen den Politikern der großen Koalition über die Gesundheitspolitik erinnert einen fatal an die Konflikte in Wohngemeinschaften. In regelmäßigen Abständen zanken sich die Bewohner darüber, wer das dreckige Geschirr abspült und wer den Müll herunterträgt. Auch für die so genannte Gesundheitsreform, die schon seit Sommer von allen Experten kritisiert wird, gilt: Keiner in der Koalition will den Mist angerichtet haben, keiner will ihn wegschaffen. Aber ewig kann man den Müll und das schimmlige Geschirr nicht herumstehen lassen. Also muss etwas passieren.

Damit etwas passiert, hat Bundeskanzlerin Angela Merkel sich und ihrer Koalitions-WG jetzt eine Frist gesetzt. Bis zum Februar soll die ungeliebte Gesundheitsreform verabschiedet werden. Und zwar auf Nimmerwiedersehen. Wesentliche Teile treten ohnehin frühestens 2009 in Kraft – und beide Regierungsparteien haben bereits angekündigt, dass sie im Falle eines eigenen Wahlsieges 2009 vieles gleich wieder ändern werden. Die Union will dann möglichst in Richtung Kopfpauschalen weitermachen, die SPD in Richtung Bürgerversicherung. Vielleicht. Der Kompromiss der großen Koalition jedenfalls versperrt weder den einen noch anderen Weg. Sonst wäre er natürlich auch kein ordentlicher Kompromiss gewesen.

Dass einige Ministerpräsidenten der Union trotzdem zum Aufstand gegen die Reform blasen, ist reiner Egoismus. Stoiber und Co. wollen sich als wackere Verteidiger ihrer Landeskinder präsentieren. Deshalb hören sie nicht auf, vor angeblich drohenden Milliardenbelastungen für ihre Länder zu warnen, obwohl ihnen längst niedrige Höchstgrenzen zugesichert wurden. Leider. Denn eine nennenswerte Umverteilung von den reichen zu den ärmeren Bundesländern wäre wenigstens ein positives Ergebnis der Reform gewesen.

Mehr Solidarität zwischen Ländern ist aber ebenso wenig ein Thema wie eine nennenswerte Einbeziehung der Privatversicherten in eine solidarische Gesundheitsversorgung. Wenn die Unions-Ministerpräsidenten nun noch mehr Begünstigungen für ihre Klientel fordern, bedrohen sie nicht Merkel. Die sitzt fest im Sattel. Sie bedrohen die SPD. LUKAS WALLRAFF