Gates warnt vor Irak-Desaster

Das US-Verteidigungsministerium sieht die Gewalt auf dem höchsten Stand seit zwei Jahren. Die Mehrheit der Opfer sind Iraker. Generalstabschefs wenden sich gegen den Vorschlag von Präsident Bush, die Truppen aufzustocken

AUS WASHINGTONADRIENNE WOLTERSDORF

Die Lage im Irak ist schlimmer, als es öffentliche Erklärungen in Washington bislang nahegelegt haben. Zu diesem Schluss kam am Montag das US-Verteidigungsministerium in einem Bericht, der nur wenige Stunden nach der Vereidigung des neuen Pentagonchefs und Rumsfeld-Nachfolgers Robert Gates vorgelegt wurde. So soll die Gewalt im Irak den höchsten Stand seit über zwei Jahren erreicht haben. Im Zeitraum von August bis November 2006 habe sich die Zahl der Anschläge pro Woche im Vergleich zu den Monaten davor um 22 Prozent erhöht. Am schlimmsten sei die Lage in Bagdad und der westlichen Provinz Anbar, einer Hochburg der aufständischen Sunniten.

Die Autoren des bislang pessimistischsten Pentagonberichtes zur Lage im Irak verzichteten auf genaue Angaben zur Anzahl der Vorfälle. Zuletzt hatte das Pentagon durchschnittlich 959 Anschläge pro Woche gemeldet. Die meisten Angriffe richteten sich zwar gegen die US-Truppen, die „überwältigende Mehrheit“ der Opfer seien jedoch Iraker.

Das Pentagon wirft der irakischen Regierung Unfähigkeit vor, der Gewalt ein Ende zu bereiten. Deshalb drohe weiterhin ein Bürgerkrieg. Obwohl im vergangenen Vierteljahr weitere 45.000 irakische Sicherheitskräfte ausgebildet worden seien, habe es nur wenig Fortschritte bei den Bemühungen des irakischen Ministerpräsidenten Nuri al-Maliki gegeben, die Gewalt zwischen den Religionsgruppen der Sunniten und Schiiten einzudämmen. Das Pentagon ermahnt die Regierung al-Maliki daher zu Dringlichkeitsmaßnahmen, um einen gesellschaftlichen Zusammenbruch zu verhindern. Angaben zu einem möglichen Truppenabzug der USA enthält der Bericht nicht.

Der neue Verteidigungsminister Gates, der in seiner Anhörung mit der Aussage, die USA würden den Krieg im Irak nicht gewinnen, für Aufregung gesorgt hatte, machte bei seiner Amtseinführung am Montag klar, dass sich zunächst die Lage im Irak beruhigen müsse. Es sei das Ziel aller, „Amerikas Söhne und Töchter nach Hause zu holen“, sagte Gates. Doch ein Scheitern der USA im Irak wäre „ein Desaster, das unsere Nation noch lange verfolgen, unsere Glaubwürdigkeit lähmen und das Leben aller Amerikaner auf Jahrzehnte hinaus gefährden würde“, warnte Gates. Er kündigte an, er wolle sehr bald in den Irak reisen, um sich von der Militärführung eine ehrliche Einschätzung der Lage geben zu lassen.

Mit dem Amtsantritt des früheren CIA-Chefs Gates, der dem ehemaligen Präsidenten George H. W. Bush nahesteht und als Pragmatiker gilt, wird in Washington allgemein und parteiübergreifend die Hoffnung gehegt, dass die USA eine akzeptable Exitstrategie finden werden. Gates betonte am Montag, dass die USA es auch nicht zulassen würden, dass Afghanistan wieder zu einem Rückzugsgebiet für Terroristen werde.

Unterdessen sind zwischen Präsident Bush und den Stabschefs der Streitkräfte Meinungsverschiedenheiten hinsichtlich der Truppenstärke in Irak aufgetreten. Laut einem Bericht der Washington Post sprechen sich die Generalstabschefs einmütig gegen den Bush-Vorschlag aus, für sechs bis acht Monate die Zahl der US-amerikansichen Truppen im Irak um bis zu 30.000 Soldaten zu erhöhen. Zurzeit sind rund 134.000 US-Soldaten im Land stationiert.

Die Militärs bemängelten insbesondere, dass das Präsidialamt nach wie vor keinen klar definierten Arbeitsauftrag für den Einsatz habe und die Truppenpräsenz lediglich deshalb steigern wolle, weil es nur begrenzte Alternativen dazu gebe.

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