Der Griff ins Klo als pädagogische Maßnahme

KITA Eine Erzieherin des Berliner Musikkindergartens zwingt einen Dreijährigen, sein Spielzeug mit der Hand aus der Toilette zu holen

Dilek und Özgür B. sind Eltern, wie man sie sich heutzutage wünscht. Statt sich mit einer 08/15-Kita zufriedenzugeben, meldeten die Bundesbeamtin und der Angestellte der Deutschen Rentenversicherung ihren heute dreijährigen Sohn M. vor eineinhalb Jahren im vom Generalmusikdirektor der Berliner Staatsoper Daniel Barenboim initiierten Musikkindergarten an. Und alles war gut – bis zu dem Toilettenvorfall, der sich vor einem Vierteljahr ereignete.

M. spielte im Waschraum der Kita. Irgendwann landete sein Spielzeug im Klo. Dass die Erzieherin das Kind dann aufforderte, es mit bloßen Händen herauszufischen, berichtete sie selbst M.s Mutter am Nachmittag – auch, dass der kleine Junge geweint und sich gesträubt habe. Die Pädagogin setzte sich durch – mit Zwang. Als der Junge sich später weigert, wieder in die Kita zu gehen, und erklärt, er habe Angst vor der Erzieherin, suchen die B.s das Gespräch mit der Kita. Erhofft haben sie eine Entschuldigung. Bekommen haben sie die Erklärung, der Griff ins Klo sei eine pädagogische Maßnahme.

B.s schalten einen Anwalt ein, auch die Senatsverwaltung für Bildung wird aktiv. Letztere schrieb Anfang Januar, dass „der Fall zwar einzeln betrachtet pädagogisch überzogen sei“, aber „intensive Gespräche“ mit der Kita auf „entwicklungs- und verhaltensbedingte Probleme des Kindes“ verweisen würden, die nur „mit großem Aufwand und großen Anstrengungen zu bewältigen waren“. Mit Familie B. hat die Behörde dabei kein Wort gesprochen. Ihre Analyse stützt sich auf einen Entwicklungsbericht, der den B.s nach ihrer Intervention von der Kitaleitung kommentarlos übergeben wurde. Der erklärt M. zum förderbedürftigen Integrationskind, wovon, so die Eltern, zuvor nie die Rede war.

M.s Erzieherin, die den Bericht verfasst hat, ist Fachkraft für Integration und seit Mai 2010 in der Kita fest angestellt. Gemeinsam mit einer weiteren Erzieherin ist sie für eine Gruppe von insgesamt 15 Kinder zuständig, von denen laut ihrem Bericht nur M. erhöhten Förderbedarf hat. Dessen Eltern vermuten, dass jetzt, wo eine Fachkraft für Integration vorhanden ist, wohl auch ein Integrationskind hermusste. Die Leiterin der Musik-Kita hat eine Stellungnahme der taz gegenüber abgelehnt.

Barbara Kühnel, Fachberaterin für Kindertagesstätten beim Pestalozzi-Fröbel-Haus, findet die Zwangsmaßnahme aus hygienischen und ethischen Gründen grenzwertig: „Ein dreijähriges Kind ist noch nah an der gerade bewältigten eigenen Sauberkeitsentwicklung. Erst hat es gelernt, die Toilette zu benutzen, nun soll es da reinfassen – schwierig“, findet Kühnel. Zudem sollten Kinder niemals zu etwas gezwungen, sondern bei der Entwicklung von Lösungen unterstützt werden. „Es wäre ja eine spannende Frage gewesen, wie man das Spielzeug aus der Toilette holt“, so die Fachberaterin. Strafrechtlich ist die Handlung der Erzieherin nicht zu belangen.

CANSET ICPINAR