Friedenschance für das Baskenland

Spaniens Regierung soll sich erstmals mit der baskischen ETA zu direkten Gesprächen getroffen haben. Damit könnte sich eine Wende im Friedensprozess anbahnen, der nach unzähligen Rückschritten in den letzten Monaten bereits als gescheitert galt

AUS MADRID REINER WANDLER

„Umsicht“ und „Diskretion“ waren die meist gebrauchten Worte, als Spaniens Innenminister Alfredo Rubalcaba gestern vor die Journalisten trat. Die Pressekonferenz war kurzfristig einberufen worden, nachdem drei baskische Tageszeitungen – El Correo, Diario Vasco und Deia – berichteten, am vergangenen Donnerstag sei es „irgendwo in Europa“ zu einem ersten Treffen zwischen Vertretern der spanischen Regierung und der baskischen Separatistenorganisation ETA gekommen. ETA habe bekräftigt, die im März ausgerufene „permanente Waffenruhe“ aufrechtzuerhalten, und das obwohl der Friedensprozess in den letzten Wochen in eine unübersehbare Krise geraten war.

Rubalcaba wollte dies „weder bestätigen noch dementieren“. Sobald es „relevante Neuigkeiten“ gebe, werde er die Parlamentsfraktionen informieren, fügte er hinzu. Auf die Frage, ob das für Freitag angesetzte Treffen zwischen Regierungschef José Luis Rodríguez Zapatero und dem Chef der konservativen Volkspartei, Mariano Rajoy – das erste seit neun Monaten – in diesem Kontext zu sehen sei, berief sich Rubalcaba einmal mehr auf „Umsicht“ und „Diskretion“.

Es war erst die zweite offizielle Pressekonferenz zum Thema Friedensprozess. Trotz der ausweichenden Antworten von Rubalcaba, deutet einiges darauf hin, dass das Treffen Regierung/ ETA tatsächlich stattgefunden hat. So erklärte gestern der Sprecher der verbotenen ETA-nahen Batasuna, José Alvarez: „Sollte diese Nachricht wahr sein, wäre sehr viel Diskretion notwendig.“ Und Iñaki Anasagasti, Senator der gemäßigten Baskisch Nationalistischen Partei (PNV), zeigte sich überzeugt davon, dass der Friedensprozess in „kurzer Zeit wieder in Gang“ komme. „Es wird eine Einigung geben“, erklärte er, ohne zu verraten, woher er diese Sicherheit nimmt.

Bis gestern hatte alles auf ein Scheitern des Friedensprozesses hingedeutet. Zu deutlich waren die Zeichen der Krise. Denn eigentlich hätte ein erstes Treffen zwischen Regierung und bewaffneten Separatisten bereits im Sommer stattfinden sollen. Stattdessen veröffentlichte ETA ein Kommuniqué, in dem die Regierung aufgefordert wurde, „die Angriffe auf das Baskenland“ einzustellen. ETA nahm damit Bezug auf unzählige Verhaftungen und Gerichtsverfahren.

In den folgenden Wochen und Monaten spitzte sich die Lage zu. Bei einer Kundgebung in einem Wald in der Nähe von San Sebastián traten drei mit Maschinenpistolen bewaffnete vermummte Männer auf und bekräftigten den Entschluss „bis zur Unabhängigkeit“ kämpfen zu wollen. Die Gewalt auf den Straßen des Baskenlandes nahm zu. Immer häufiger wurden Brandanschläge auf Banken, Parteibüros und öffentliche Einrichtungen verübt. Die Gespräche von Zapateros Sozialisten mit Batasuna und der PNV brachen ab.

Im November erreichte diese Entwicklung ihren Tiefpunkt, als ein ETA- Kommando in der Nähe der südfranzösischen Stadt Nimes 350 Pistolen und tausende von Schuss Munition stahl. Die französische Polizei nahm daraufhin wichtige Mitglieder aus dem logistischen Apparat ETAs fest. In ihrer internen Zeitung Zutabe forderte ETA Zapatero zu „eindeutigen Schritten“ auf und bekräftigte die Forderung nach Unabhängigkeit des Baskenlandes, die Baskenprovinzen in Frankreich und die Nachbarprovinz Navarra mit eingeschlossen.

„Nach dem Treffen erwarten Regierungskreise für die nächsten Wochen eine ‚bedeutende Geste‘ seitens der nationalistischen Linken“, heißt es in der gestrigen Ausgabe von El Correo. Doch noch scheint der Moment nicht gekommen. Das ETA-Umfeld organisierte gestern einen „Kampftag“. Tausende von Menschen verlangten auf über 100 Demonstrationen, die trotz richterlichem Verbot abgehalten wurden, das „Selbstbestimmungsrecht“ für das Baskenland und die Verlegung der knapp 500 Gefangenen in baskische Haftanstalten. In einigen Orten kam es zu Auseinandersetzungen und Brandanschlägen.

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