MECHTHILD B., INTERNISTIN
: Die mit dem Morphium

■ 61, arbeitete als Internistin, bevor ihr 2003 die Approbation, ohne Verurteilung, vorsorglich entzogen wurde. Foto:dpa

Selten hat ein Mediziner-Prozess so polarisiert wie der von Mechthild B., jener Internistin, die wegen 13 Todesfällen in einer Klinik bei Hannover seit fast acht Jahren vor Gericht steht. Den einen erscheint sie als „Todspritz-Oma“ (Bild), die ihre Patienten mit Morphium gewissenlos ins Jenseits beförderte; den anderen als gesinnungsethische Humanistin, die nur das Beste für ihre Patienten wollte: den Tod, kurz und schmerzlos. Vor dem Landgericht Hannover versammelten sich regelmäßig Demonstranten, die auf Plakaten „Freispruch“ und „Tod in Würde“ forderten und Unterschriften sammelten.

Eine erste Zwischenbilanz des Gerichts bringt nun Mechthild B. und ihre Unterstützer in Bedrängnis: In zwei von bislang sechs verhandelten Patientenschicksalen deute vieles auf vorsätzliche Taten hin, sagte am Dienstag der Vorsitzende Richter Wolfgang Rosenbusch. „Es muss geprüft werden, ob das Mordmerkmal der Heimtücke erfüllt ist.“ In keinem Fall sei von einer natürlichen Todesursache auszugehen. Damit droht der Ärztin die Höchststrafe: lebenslange Haft wegen Mordes.

Die angeklagte Ärztin hatte zu Beginn des Prozesses noch einmal ihre Unschuld beteuert: „In keinem der 13 Fälle habe ich die letzte Lebenszeit meiner Patienten durch Morphium verkürzt“. Die hoch dosierten Mengen an Morphium und Valium habe sie als Schmerzlinderung und Sterbebegleitung eingesetzt.

Das Gericht will bis Januar 2012 den Prozess abschließen. Eine Frage wird sich bei einer Verurteilung allerdings noch beunruhigend stellen: Beleuchtet der Fall dann weiter nichts als die Mördergrube einer verdunkelten Psyche, eine individuelle Krankheitsgeschichte? Oder hat er paradigmatische Kraft und wirft ein Schlaglicht auf die mörderischen Züge einer dem Nutzenkalkül verschriebenen Gesellschaft, in der Alte und Kranke ohnehin nur Ballast sind?

Aufgenommen wurden die Ermittlungen übrigens aus purem Zufall. Einer Krankenkasse, Abrechnungsbetrügern auf der Spur, fiel 2003 die hohe Sterbequote in jener Klinik auf, in der Mechthild B. damals gearbeitet hat – und sonst auch heute noch gearbeitet hätte. MAP