„Irgendwie hängen sie an Weihnachten“

Weihnachts-Varianten (7): Die Hinduistin Chitra Bachar aus Bremen feiert mit ihren Kindern Weihnachten. So, wie sie sie auch in den christlichen Religionsunterricht geschickt hat. Weil sie glaubt, dass alle Religionen letztlich ein gemeinsames Ziel haben

Ich feiere Weihnachten, und fast alle meine Bekannten, die Hindus sind, tun das auch. Meine Kinder sind jetzt 23 und 20 Jahre alt, und wir machen es immer noch. Das ganze Haus ist schon dekoriert, und am 22., 23. Dezember bringt mein Mann dann einen Weihnachtsbaum. Als ich letztes Jahr zu Weihnachten mit meinem Mann nach Indien fliegen wollte, da war meine Tochter ein bisschen traurig. „Warum bleibst du Heiligabend nicht hier?“, hat sie gefragt.

Das hat mir schon zu denken gegeben. Sie sind eben hier in Deutschland geboren, habe ich mir gedacht. Sie machen auch das große Hindu-Fest in Bremen mit, aber irgendwie hängen sie auch an Weihnachten. Das kann ich gut verstehen. Ich hänge zur Hälfte hier und zur Hälfte in Indien, weil ich erst mit 27 Jahren hierhergekommen bin. Meine Kinder sprechen viel Deutsch, haben deutsche Freunde. Und wenn sie auch ein Herz für Indien haben, fühlen sie sich hier doch sehr wohl.

Mit dem Weihnachtsfest zu Hause habe ich angefangen, als die Kinder schon ein bisschen merken konnten, was da war. Als ich 1975 nach Deutschland kam, war ich allein. Da wollte ich es nicht feiern. Aber mein deutscher Bekanntenkreis hat mich zu Weihnachten eingeladen, deswegen wusste ich schon alles darüber. Als meine Kinder dann in die Grundschule gingen und uns die Schulleiterin fragte, ob wir unsere Kinder – wie die türkischen – vom Religionsunterricht befreien lassen wollten, habe ich gesagt: „Nein. Ich möchte meinen Kindern nicht beibringen: Das ist deine Religion und das ist meine“.

Gut, jeder hat eigene Wege, aber das Ziel ist für alle gleich – egal, ob man Gott oder Allah oder etwas anderes sagt. Das denke ich zumindest. Sie sind nicht getauft, aber wir gehen trotzdem gern in die Kirche, wenn im Gemeindehaus ein Fest ist. Meine Kinder sind auch in den Kindergarten der Gemeinde gegangen. Da gibt es vor Weihnachten einen Gottesdienst für die Kinder. Den habe ich zusammen mit meinem Mann besucht, und das hat mir gut getan. Ich halte es für Unsinn zu sagen: Weil ich ein Hindu bin, gehe ich da nicht hin. Auch meine Kinder habe ich zur Toleranz erzogen.

In unserer eigenen Religion muss man nicht regelmäßig zu einer Kirche gehen oder in in der Bibel lesen. Wir haben die Bahgavad Gita – einen Teil der Veden, der heiligen Schriften der Hindus –, die man aber nicht jeden Tag zu Hause liest. Das ist eher etwas für die Priester. Die Hindu-Religion ist genau genommen eher eine Philosophie. Und diese Kultur tragen wir sowieso in uns, weil wir – mein Mann und ich stammen aus Indien – in dieser Atmosphäre leben. Und die Kinder merken das natürlich.

Wir haben als bengalische Hindus ein großes Fest, das Durga Puja. Das ist ungefähr so wichtig wie Weihnachten. Es liegt zwischen Ende September und Mitte Oktober – je nach Vollmond –, und das feiern wir hier in Bremen seit 26 Jahren. Für dieses Fest benutzen wir einen Altar, den wir uns extra aus Indien haben schicken lassen. Der wird bei einer der mitfeiernden Familien zu Hause aufgebaut. Was das Fest bedeutet? „Durga“ heißt Mutter; es handelt sich also um die Mutter Puja, die vier Kinder hat, mit denen sie ihre Mutter besucht, und das wird vier, fünf Tage groß gefeiert. Mit Blumen, Obst, Räucherstäbchen, Gebet und Priestern. Abends gibt es nochmal ein Gebet und dann ein kulturelles Programm sowie ein Essen. Es kommen Inder und auch ziemlich viele Deutsche zu unserem Fest, weil viele Inder deutsche Frauen haben. Eine indische Feier hat immer viele Gäste, da nimmt nicht nur die Familie dran teil. Unsere Religion ist nicht sehr streng: Meine Kinder müssen nicht zu den Festen gehen und still sein beim Gebet. Diejenigen, die meditieren wollen, können zur Bühne gehen, wo der Altar steht und in Ruhe meditieren.

Was meine Kinder betrifft, fühlen sie sich überall wohl: Weihnachten ist schön für sie und die indische Kultur auch. Ich sage ihnen immer wieder: Die indische Kultur hat sehr viel anzubieten – aber auch sehr viele Probleme. Und in Deutschland ist es genauso. Als mein Sohn klein war, war er übrigens immer sauer, wenn jemand Witze über Indien gemacht hat. Als er indische Kinderlieder hörte, sagte sein Freund: „Was für einen Quatsch hörst du da?“ Da wurde mein Sohn sehr traurig und wollte mit den Liedern nichts mehr zu tun haben. Damals habe ich ihn in Ruhe gelassen. Als er älter wurde, wusste er, was für eine Antwort er auf so etwas geben kann. Aber jetzt hat er auch Freunde, die so etwas nicht sagen.

Ich habe das Gefühl, dass ich ihnen gar nicht so viel über Indien beibringen muss: Es kommt automatisch. Als ich das letzte Mal mit meinen Kindern nach Indien gefahren bin, habe ich gesehen, wie sie alles mitmachten, ohne dass ich etwas sagen musste. Mein Sohn hatte mich gefragt: „Mama, wenn Tante und Onkel kommen, sollen wir ihre Füße anfassen?“ Das ist bei uns ein Zeichen des Respekts. Da habe ich gesagt: „Ja, eigentlich wäre das schön. Aber wenn ihr es nicht mitmacht, werde ich auch nicht sauer sein.“ Aber sie haben es mitgemacht. Das fand ich toll. Und das nächste Mal haben sie es, ohne zu fragen, einfach mitgemacht.

PROTOKOLL: FRIEDERIKE GRÄFF