Leere Meere

In Nord- und Ostsee darf nahezu ungehemmt weitergefischt werden, hat die EU beschlossen. Umweltschützer und Wissenschaftler kritisieren die Fangquoten als Ausbeutung, Fischereiverbände hingegen fürchten Existenzbedrohung

Als „Kniefall vor der Fischerei-Lobby“ hat der World Wide Fund for Nature (WWF) die Entscheidung der EU kritisiert, weiterhin fast ungehemmt die Meere leer zu fischen. Vor allem der Kabeljau, befürchtet Karoline Schacht, Fischereireferentin der Hamburger Naturschutzorganisation, „wird an den Rand der kommerziellen Ausbeutung gedrängt“.

Die EU-Agrarminister hatten in der Nacht zu gestern in Brüssel die von der Kommission vorgeschlagene Senkung der Fangquoten für Kabeljau um 25 Prozent abgelehnt. Sie wurden, je nach Meeresregion, um lediglich 14 bis 20 Prozent verringert. Allein in der Nordsee dürfen weiterhin rund 20.000 Tonnen Kabeljau pro Jahr gefangen werden. Zudem wurde die Zahl der erlaubten Fangtage auf See nur leicht reduziert. Wissenschaftler und Umweltschützer fordern hingegen seit Jahren ein Moratorium, damit sich die überfischten Bestände erholen können.

Auch Siegfried Ehrlich von der Hamburger Bundesforschungsanstalt für Fischerei kritisiert die Beschlüsse. Damit würden die Ziele des Wiederaufbauplans für den Kabeljau nicht erreicht: „Das entspricht nicht den Anforderungen, die wir als Wissenschaftler stellen.“

Genau entgegengesetzt fällt die Kritik von Kai Arne Schmidt aus, dem Geschäftsführer der Erzeugergemeinschaft der Hoch- und Kutterfischer in Cuxhaven: „Die Reduzierung der Seetage von 103 auf 91 ist existenzbedrohend.“ Zehn Familienunternehmen seien davon betroffen. Auch der Deutsche Fischerei-Verband spricht von „schmerzhaften Beschränkungen“. Die Bestände von Krabben, Seelachs, Steinbutt, Flunder, Schellfisch und nördlichem Seehecht seien in guter Verfassung, sagte Generalsekretär Peter Breckling: „Katastrophenmeldungen über aussterbende Fischbestände und leer gefischte Meere sind nicht angebracht.“

Greenpeace forderte hingegen erneut die „sofortige Einrichtung großflächiger Schutzgebiete“, in denen nicht gefischt werden dürfe. Die EU sei, so Greenpeace-Meeresbiologe Thilo Maack, „überhaupt nicht fähig, die Meere ausreichend zu schützen“. Kurzfristig sollten Verbraucher beim Einkauf auf die Herkunft und die Art des Fisches sowie auf das blaue Ökosiegel des Marine Stewardship Council (MSC) achten, empfehlen deshalb WWF und Greenpeace.

Hering, Alaska-Seelachs und europäische Zuchtforellen seien „eine gute Wahl“. Auf Rotbarsch, Kabeljau und Scholle sollte verzichtet werden. Beide Organisationen haben „Fischführer“ erstellt, in denen sie 40 handelsübliche Fischarten nach ökologischen Kriterien wie Bestandsentwicklung und Fangmethoden beurteilen. Sven-Michael Veit

Fischführer auf: www.wwf.de oder www.greenpeace.de.tagesthema SEITE 3