Ein eingespieltes Duo

Vier Köpfe sind gerollt, 15 Millionen Euro Schaden bleiben: In Bremen wird der Skandal um betrügerische Machenschaften in den kommunalen Kliniken derzeit von einem parlamentarischen Untersuchungs-Ausschuss aufgearbeitet.

Von Henning Bleyl

Irgendwann wird das verfilmt: Karin Röpke sitzt im Auto, in Dessau warten die übrigen Gesundheitsminister. Das Telefon klingelt. Unangenehme Nachrichten aus Bremen: Die Grünen planen eine Pressekonferenz. Kurz zuvor hat Fraktionschefin Karoline Linnert Akteneinsicht im Klinikum Ost genommen und weiß nun: Dessen Geschäftsführer hat Bremen in großem Stil betrogen. Hat Verträge mit sich selbst geschlossen, sinnlose Großanschaffungen getätigt, wie 1.000 „Mutimedia-Schränke“ à 4.900 Euro netto das Stück, hat Beraterhonorare ohne Gegenleistung angewiesen. Auch die Bremer Gesundheits- und Sozialsenatorin hat zahlreiche Hinweise auf Unregelmäßigkeiten erhalten. Aber Lindner ist noch im Amt.

Röpke telefoniert mit ihrem daheimgebliebenen Staatsrat. Wie soll man mit der grünen Offensive umgehen? Lindner ist doch Hoffnungsträger! Er soll das kommunale Großklinikum fit machen für den Wettbewerb, die von der Bundesregierung beschlossene „Fallpauschale“ droht, die gesamte Krankenhauslandschaft ist im Umbruch. Der Mann auf dem Nebensitz hält ihr aufgeregt ein Schriftstück unter die Nase: Matthias Gruhl, Abteilungsleiter im Ressort, hat gerade etwas in den Akten gefunden, das noch unangenehmer ist als die forsche Frau Linnert. Nämlich den Beweis, dass Lindner der ihm selbst gehörenden (bankrotten) Reha-Klinik Rastede eine finanzielle Garantie über deren dauerhaften Betrieb gegeben hat. Bislang hatte Lindner das Ressort vom Gegenteil überzeugen können.

Heute weiß man: Die Geschäfte Lindners, der als dynamischer Sanierer antrat, haben Bremen um die 15 Millionen Euro gekostet. Es gibt einen Untersuchungs-Ausschuss, der die Klinik-Affäre ausgiebig untersucht. Es gibt eine zurückgetretene Gesundheitssenatorin, die den Abgeordneten gestern freimütig die Auto-Anekdote erzählte. Aber es gibt nach wie vor keine Erklärung für die Tatsache, dass die Kontroll-Mechanismen so folgenschwer versagten. Röpke versicherte wiederholt: „Zum damaligen Zeitpunkt bestand kein Anlass zum Misstrauen.“ Ihr Rücktritt, darauf legt sie Wert, erfolgt denn auch nicht wegen der Klinik-Affäre, sondern wegen Kevin. Wie der Zweijährige trotz Amtsvormundschaft gewaltsam zu Tode kommen konnte, ist Thema eines zeitgleich tagenden Untersuchungs-Ausschusses.

Für den Klinik-Skandal hat ihr Staatsrat die politische Verantwortung übernommen. Arnold Knigge, SPD, 58, nach eigenen Angaben derzeit auf Arbeitssuche, ist Tags zuvor beim Ausschuss als Zeuge aufgetreten. Da wurde der große Bogen deutlich: Lindner sei auf massives Drängen von Wolfgang Tissen eingestellt worden, der wiederum war – bis zu seiner fristlosen Vertragsaufhebung nach nur 13-monatiger Amtsführung – Geschäftsführer der „Gesundheit Nord“. Mit dieser Konstruktion ist Bremen die dritte Großstadt nach Berlin und Hamburg, die ihre Krankenhäuser in einer Holding organisatorisch zusammenfasst.

Für Tissens Einstellung war ein Personalberater zuständig. Der hatte ihn – obwohl er den 43-Jährigen bereits woanders hatte unterbringen wollen – zunächst gar nicht vorgeschlagen, sondern drei von Röpke als „nicht überzeugend“ eingestufte Bewerber. Tissen, von dem der Behörde bis heute keine Personalakten im Sinne von Ausbildungs-Urkunden oder Arbeitszeugnissen vorliegen, kam erst kurz vor der angepeilten Entscheidung ins Spiel – und nutzte die Gelegenheit, seine offenbar überragenden Talente einzusetzen: Als „aufgeblähter Blender“ (Linnert).

Für die VertreterInnen der Großen Koalition gab es einen Vormittag im „Scandic Crown“. Dort konnten sie Tissen Fragen stellen, anschließend notierte der Staatsrat auf den Rand seiner Unterlagen: „Inf. Linnert“. Die Fraktions-Vorsitzende der Grünen durfte zwar nicht dabei sein, sollte aber schon noch über die beschlossene Top-Personalie informiert werden.

Das war vor zwei Jahren. Jetzt ist aus „Inf. Linnert“ die Ausschuss-Vorsitzende geworden, die Ex-Senatorin und Ex-Staatsrat penibel befragt. Von Röpke will sie wissen, warum man den Personalberater nicht nach seinen bislang erfolglosen Vermittlungsversuchen in Sachen Tissen gefragt hat. Antwort: „Es hilft mir doch überhaupt nicht weiter zu wissen, warum er woanders nicht genommen worden ist.“

Der Personalberater setzte die Behörde über den üblichen Gehaltsrahmen ins Bild: Die Leiter mittelgroßer Krankenhäuser verdienen etwa 160.000 Euro, der Chef der Hamburger LBK bringt es demnach auf eine halbe Million. Tissen wollte 300.000 Euro. Die bekam er auch, wobei das bei Gesellschaften übliche Tantiemen-Modell praktiziert wurde: 190.000 sind als Gehalt ausgewiesen, dazu gibt es Auto, Lebensversicherung (202.000 Euro) und eine als erfolgsabhängig bezeichnete Tantieme von zunächst 90.000 Euro. Die wurde monatlich im Voraus bezahlt.

Wichtig bleibt festzuhalten, dass sich die kriminelle Energie insbesondere von Lindner in vorgefertigte Bahnen ergoss: 25 Prozent seiner Geschäftsführer-Tantieme waren daran gekoppelt, dass Bremen „seinen Einflussbereich über die Grenzen hinaus“ ausdehnte. Lindner war in dieser Richtung überaus aktiv – mit dem kleinen Surplus, dass die vertraglich gebundenen Umland-Kliniken ihm selbst gehörten.

Lindners Privat-Imperium erstreckt sich bis Kassel. Die dortige Siekertal-Klinik lässt er treuhänderisch von einem christdemokratischen Kommunalpolitiker führen, dieser wiederum gewährte Tissen ein Darlehen von 44.000 Euro. Mit anderen Worten: Lindner und Tissen waren ein auf verschiedenen Ebenen eingespieltes Duo.