Berliner Platten
: Gebrochenes Verhältnis: Sido und Potentia Animi singen Weihnachtslieder

Potentia Animi: „Sind die Lichter angezündet?“ (Staupa Musica/Metal Blade/SPV)

Auf den ersten Blick haben mittelalterliche Mönche und Gangsta-Rapper nicht viel gemeinsam. Doch genauer betrachtet, offenbaren sich erstaunliche Parallelen: Ob Sido oder Potentia Animi, beide tragen sie vorzugsweise weite Gewänder, der Rapper aus dem Märkischen Viertel Baggy-Jeans, die Mönche aus Pankow grob gewirkte Kutten. Auch sind beide Seiten derben Vergnügungen nicht abhold, ob es sich nun um außergewöhnliche Sexualpraktiken handelt, eine Palette an bewusstseinsverändernden Mitteln (Bier beim Mönch und THC beim Hiphopper) oder den Hang zum ausschweifenden Leben (die heiligen Männer schwören auf altmodische Saufgelage, Sido schmiss schon Fuffis in den Club). Und beide haben ein gebrochenes Verhältnis zu Weihnachten.

Sidos „Weihnachtssong“ erschien zum ersten Mal 2003 auf der dritten Compilation seines Labels Aggro Berlin. Der Track mit dem „Jingle Bells“-Sample war neben dem notorischen „Arschficksong“ sein erstes Solo- Lebenszeichen nach dem Ende von Die Sekte. Keiner der beiden Tracks landete schlussendlich auf dem Index, dabei hatte sich Sido solche Mühe gegeben: Anfangs wünscht er noch brav „Frohe Weihnachten“, aber schnell zieht er mit seinem „Sack“ und einer „Nase voll Schnee“ in den Wald, um dort „so ’nen Kerl in Rot“ kalt zu machen. Rechtzeitig zum Fest erschien der mittlerweile in gewissen Kreisen zum winterlichen Klassiker gewordene Song nun als Single, ergänzt um einen aktuellen Remix. Bei dem lässt sich Sido unterstützen von den Aggro-Kollegen G-Hot, Kitty Kat und Tony D, die sich nun endgültig dem Konsumterror ergeben. „Ich geh ins KaDeWe und kann mir alles kaufen“, freut sich G-Hot, „Ich krieg einen Scheck zu Weihnachten“ rappt Kitty Kat. Und wir lernen zum Jahresabschluss: Hiphop und Weihnachten, BlingBling und Baumbeleuchtung, passen überraschend gut zusammen.

Potentia Animi dagegen singen auf „Sind die Lichter angezündet?“ klassische Weihnachtslieder. Die drei Männerstimmen schwingen sich zum Mönchschor auf, unterstützt nur von Orgel oder Cello und musikalisch so getragen, dass einem ganz warm ums Herz wird. Spekulatius zum Hören sozusagen. Eine Ausnahme: Die Interpretation von „Kling, Glöckchen, kling!“ ist eine Preziose geworden dank eines mehr als drei Minuten langen, indisch verstrahlten Intros mit Tabla und Lita, das die olle Jahresendschnulze zum psychedelischen Gruß aus den Sixties adelt. Allerdings: Der Teufel, bzw. bei Potentia Animi der unvermeidbare Fäkalhumor, versteckt sich in den Details, die mit viel Liebe herausgearbeitet sind. So wird „Morgen, Kinder, wird’s was geben“ im Kloster gefeiert mit glänzend gewienerten Zellen, Sexspielzeug zur Bescherung und anschließender homosexueller Orgie. Ähnlich einfallsreich die Umdichtung von „Es ist ein Ros’ entsprungen“: Diesmal entspringt allerdings „ein Duft“, der „hin und wieder mein sündiges Näschen“ erfreut. Kurz: Häretiker allesamt, wie sie da sind, Rapper oder Mönche, aus dem Mittelalter oder aus’m Ghetto. Alles dieselbe lästerliche Baggage.

Sido: „Weihnachtssong“ (Aggro Berlin/Groove Attack)

THOMAS WINKLER