uli hannemann, liebling der massen
: Weihnachten: Besser wird’s nicht

Obwohl ich nach wie vor ein „geselliger Mensch“ bin, wenn man einen latenten Alkoholiker so bezeichnen möchte, die extremen Zeiten sind längst vorbei. Ich will mir keine Vollräusche mehr leisten, die mich mittlerweile bis zu drei Tagen Kreativität, Gesundheit und Glück kosten, und ich dann noch nicht mal weiß, wozu das Ganze.

Nur im Dezember weiß ich es noch immer genau: Für mein Leben gern gehe ich mit „Freunden“, wenn man Leidensgenossen aus dem Trinkermilieu so bezeichnen möchte, auf den Weihnachtsmarkt, wo wir uns feierlich abfüllen: Es gibt flüssiges Kopfweh aus Glühwein, Eierpunsch, Jagertee, heißem Apfelwein, Feuerzangenbowle und Schnäpsen – süßer die Glocken nie klingen …

Der geeignete Stand unserer Wahl besitzt einen Stehtisch, denn in dessen Schutz kann man im Gedränge unbemerkt urinieren, während man sich besinnlich betrinkt. Liebe liegt in der kalten Luft: Endlich duftet es nach Weihnachten, diesem einzigartigen Aroma aus gebrannten Mandeln, Bratwürsten, Chinapfanne, heißem Sprit und Ammoniak. Zu fortgeschrittener Stunde grölen wir Weihnachtslieder. Manchmal gibt es auch eine kleine Schlägerei mit anderen „Weihnachtsmarktbesuchern“, wenn man Viertelquartalssäufer so bezeichnen möchte, doch die Schlagringe sind frisch erworbenes Kunsthandwerk und die Hiebe versöhnlich gedämpft.

Sobald die Buden zu schließen drohen, sind wir regelmäßig in „ausufernder Weihnachtsstimmung“, wenn man Oberkante Unterlippe so bezeichnen möchte: Erwachsene Männer bestechen, schmeicheln, flehen auf Knien um ein letztes Tässchen heißen Promilletee, um „den gemütlichen Abend zu verlängern“, wenn man die Angst vor dem Entzug so bezeichnen möchte. Die Furcht vor den verheerenden Folgen dieser disparaten Mischung aus überzuckerten, hochprozentigen und minderwertigen Tinkturen, spielt im Moment keine Rolle: „Carpe diem“ – trinke den Tag“, selbstverständlich mit Schuss.

Nicht selten jedoch setzt die Panik schon auf dem „Heimweg“ ein, wenn man den Halbliegendtransport saturierter Suchtkranker so bezeichnen möchte. So machte ich nach dem Besuch des Spandauer Weihnachtsmarktes einmal den Fehler, in der U-Bahn mit meinen „Augen“, wenn man die blutunterlaufenen Alksonden so bezeichnen möchte, die Sitze zu fixieren. Die U 7 hatte damals gerade eine neue Polsterung mit dem inzwischen sattsam bekannten blau-grau-roten Grisselmuster bekommen – eine Komödie fürs Auge, eine Tragödie fürs Gehirn, ein Drama für den Magen: Bereits Paulsternstraße musste ich dringend raus – das „futuristische Dekor“ der dortigen Kachelwände, wenn man die Architektur gewordenen Delirien so bezeichnen möchte, gab mir den Rest. Ich wünsche den Anwohnern, dass die Rolltreppe heute wieder reibungslos funktioniert, wenn es überhaupt eine Rolltreppe war – zumindest in meiner Erinnerung ist es eine.

Am nächsten „Tag“, wenn man die diffuse Aneinanderreihung mit Kopfschmerz, Übelkeit und dumpfem Dahindämmern gefüllter Stunden so bezeichnen möchte, geht es einem natürlich entsprechend schlecht. Nur die sonst übliche postalkoholische Depression ob des Irrsinns dieser Selbstzerstörung fehlt nach dem Weihnachtsmarkt komplett. Man hat schließlich nur seine Pflicht als Christ getan.