In Gaza bleiben Hamas und Fatah getrennt

Nach dem innerpalästinensischen Waffenstillstand sichern die Bewaffneten beider Seiten ihre Gebiete

GAZA taz ■ Man erkennt sie am Bart. An der Scheich-Said-Kreuzung im Flüchtlingslager Dschabalija bei Gaza-Stadt haben sich die Truppen der islamistischen mit ihren Kalaschnikows in Position gebracht. Einige tragen die Uniformen, die das palästinensische Innenministerium seinen neu gegründeten Sicherheitstruppen gegeben haben, andere schwarze T-Shirts und tarnfarbene Hosen oder einfach ihre normale zivile Kleidung. Aber der Bart ist ein Muss. Ohne dieses Erkennungszeichen würde keiner mehr wissen, wer im innerpalästinensischen Machtkampf, der seit Tagen tobt, Freund und wer Feind ist.

„In Nordgaza ist es ruhig“, gibt ein Rotbärtiger bereitwillig Auskunft. „Aber hier gibt es noch immer Leute, die Probleme machen.“ Weiter kommt er nicht. Der Kommandeur marschiert heran und verbietet jegliche weitere Auskunft. Die Leute, die der Hamas-Mann meint, stehen an der nächsten Kreuzung: die Polizei und der Nationale Sicherheitsdienst, die beide der Fatah von Palästinenserpräsident Mahmud Abbas nahe stehen. Weil unter der elfjährigen Fatah-Regierung nur eingestellt wurde, wer auch das richtige Parteibuch hatte, misstraut die im vergangenen Januar in die Regierung gewählte Hamas sämtlichen Sicherheitsdiensten.

Innenminister Said Siam hat deshalb seinen eigene, 5.400 Mann starke Eingreiftruppe gegründet: die sogenannten Exekutivkräfte. Offiziell wurden sie gebildet, um „Chaos und Anarchie“ im Gaza-Streifen zu beseitigen. Tatsächlich sind sie Teil einer Parallelstruktur, die die Hamas-geführte Regierung aufbaut. Die rivalisierenden Gruppen scheinen die Straßenzüge in Gaza-Stadt und im angrenzenden Dschabalija unter sich aufgeteilt zu haben. Argwöhnisch wird jedes Auto in Augenschein genommen, das an ihnen vorbei rollt.

Viel ist in den sonst stets vollen Straßen des dicht besiedelten Gaza-Streifens ohnehin einen Tag nach dem brüchigen Waffenstillstand nicht los. Die Straßenschlachten und unkontrollierten Schießereien von Fatah und Hamas, bei denen sogar Schulkinder und Krankenhauspatienten ins Kreuzfeuer gerieten, haben ihre Spuren hinterlassen. Schulen und Universitäten sind geschlossen, viele Läden haben aus Angst vor neuer Gewalt gar nicht erst geöffnet.

„Ich bin nicht arbeiten gegangen, meine Kinder sind ebenfalls zu Hause. Lediglich mein Mann ist losgegangen, um ein paar Lebensmittel einzukaufen“, sagt Fatma Mohammad, Mutter von drei Töchtern. „Als ob wir nach den israelischen Invasionen und Luftangriffen und mit den nicht bezahlten Gehältern im öffentlichen Dienst nicht schon genug gelitten hätten“, kritisiert die Krankenschwester die bürgerkriegsähnlichen Zustände der letzten Tage im krisengeplagten Gaza-Streifen.

„Die Palästinenser haben etwas besseres verdient, als das, was Hamas und Fatah derzeit hier anrichten“, sagt Dschihad Hamad, Professor für politische Soziologie an der Al-Azhar-Universität in Gaza-Stadt. Für Neuwahlen, wie Präsident Abbas sie fordert – diese Forderung hat die Unruhen ausgelöst –, sei die Bevölkerung elf Monaten nach dem letzten Urnengang noch nicht bereit. „Die Mehrheit will weder Neuwahlen noch die jetzige, Hamas-geführte Regierung, sondern eine Koalition der nationalen Einheit, in der alle wichtigen Gruppierungen vertreten sind.“ Nur so könne die Krise und die Blockade der Hilfsgelder und Zolleinnahmen beendet werden.

Doch von einer Annäherung ist derzeit wenig zu spüren. Sowohl Abbas als auch Ministerpräsident Ismail Hanija (Hamas) haben zwar zur Ruhe aufgerufen. Aber entweder haben sie die Kontrolle über einen Teil der bewaffneten Gruppen verloren oder sie wollen sie nicht ausüben. SILKE MERTINS