Hinterher ist man immer schlauer

FALL YAGMUR Jugendamts-Chef Mitte kritisiert vor Abgeordneten die Arbeit der Jugendhilfeinspektion

Wenn er nicht aussage, würde ein Ordnungsgeld verhängt, hatte die CDU vorab gedroht. Der Auftritt des Chefs des Jugendamtes Mitte, Peter Marquard, am Dienstagabend im Parlamentarischen Untersuchungsausschuss (PUA) zum Tod des Kindes Yagmur gestaltete sich dann aber weniger dramatisch. Marquard stellte sich in der fünfstündigen Sitzung im Beisein seines Anwalts den Fragen der Abgeordneten, sagte aber wenig zum Einzelfall. In den vorangegangenen Sitzungen hatten drei für Yagmur zuständige Mitarbeiterinnen und ihr Abteilungsleiter die Aussage verweigert.

Der Diplompädagoge war 2012 aus Bremen abgeworben worden, um das Jugendamt im Bezirk Mitte nach dem Tod des Mädchens Chantal wieder aufzubauen. Es gebe eine hohe Fluktuation, in manchen Abteilungen seien nur zwei von acht Mitarbeitern erfahrene Kräfte, gab Marquard zu Protokoll. Man habe sich mit einem „Flickenteppich von kleinen Hilfsmaßnahmen“ über die Runden geholfen. Dazu gehört eine „Arbeitshilfe“, die es gestattet, Prioritäten zu setzen und Fälle weniger umfangreich zu dokumentieren als vorgegeben. Marquard: „Ich gehe davon aus, dass die heute noch gilt.“

Die Jugendhilfeinspektion hatte dies in ihrem Bericht zum Fall Yagmur kritisiert. Mangelnde Dokumentation könnte ein Grund sein, warum wichtige Informationen verloren gingen. Marquard wurde ein Zettel vorgelegt, mit dem die Übergabe des Falls vom Bezirk Eimsbüttel handschriftlich vermerkt wurde. „Sehen so bei Ihnen Dokumente einer Übergabe aus?“, wollte der Ausschussvorsitzende Andre Trepoll wissen. Es gebe unterschiedliche Formen, das sei eine Frage des Einzelfalls, sagte der Zeuge.

Der Fall der dreijährigen Yagmur sei bereits in Eimsbüttel nicht mehr als Kinderschutzfall eingestuft worden. Auch hätten die beteiligten Mitarbeiter ihm versichert, dass ihr Vorgehen nicht unter der Personalsituation gelitten habe.

Er kritisierte, die Jugendhilfeinspektion habe die Entscheidungen der Handelnden aus dem Jahr 2013 mit dem Wissensstand von Januar 2014 bewertet. Damit würden Probleme „nicht verbessert, sondern eher zugedeckt“. Gleichwohl nahm er den Bericht zum Anlass, eine eigene Fehlerliste zu erstellen.

Von Trepoll danach gefragt, sagte Marquard, er könne die Kritik von Kollegen an den vielen Dokumentations- und Kontrollvorschriften nachvollziehen. Diese würde nicht als Handlungshilfe gesehen. Auch bei der umstrittenen Behördensoftware Jus-IT seien ihm viele Probleme bekannt. In seinem Jugendamt gebe es eine Top-Ten-Liste, auf der die Schwierigkeiten mit dem Programm mehrmals im Jahr aktualisiert würden.  KAJ

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