Diskrete Reibungen

Mit elektronischer Musik altert es sich einfach viel entspannter als mit Rock. Kein Fitness-Coach, der einem Diät- und Drillprogramme verordnet, um auch mit über 70 noch eine gute Figur auf der Bühne zu machen, überhaupt fällt der Lächerlichkeitsfaktor, der bei körperbetonten Formen des Musizierens schon mal zum Tragen kommen kann, weitgehend weg. Wer stumm hinter seinem Rechner/Synthesizer/Gerätepark steht, sorgt zwar nicht unbedingt für eine sensationelle Show, fällt dafür aber nicht unangenehm auf.

Selbst der Altersunterschied zu anderen Musikern, mit denen man arbeitet, spielt kaum eine Rolle. Dieter Moebius, mit 70 Jahren und als ehemalige Hälfte des „Krautrock“-Duos Cluster allemal ein Veteran und Pionier der experimentellen elektronischen Musik, stemmt mit seinem jüngsten Projekt ein echtes Generationentreffen der Elektronik: Der Komponist Tim Story zählt kraft Geburtsjahrgang 1957 zur mittleren Altersstufe, sein Kollege Jon Leidecker alias Wobbly, seit einiger Zeit bei den Collage-Anarchisten Negativland unterwegs, ist mit 44 Jahren eindeutig der Jüngste.

Ihr gemeinsames Album „Snowghost Pieces“ ist eine ritualistische Meditation, die es jedoch nicht bei der Versenkung in den Klang bewenden lässt. Vielmehr werden immer wieder Elemente zusammengefügt, die eigentlich nicht zueinander passen, sich aber nur so stark beißen, wie es nötig ist, um für diskrete Reibung zu sorgen. Der Groove darf nicht zerstört werden, er bekommt bloß einen leichten Schlag versetzt.

Eindeutig zur jüngeren Generation ist das Berliner Duo Driftmachine zu rechnen. Und auch wenn Andreas Gerth vom Tied & Tickled Trio und Florian Zimmer von Saroos ihr Debütalbum „Nocturnes“ ohne die Beteiligung von Dieter Moebius eingespielt haben, ist die Musik von Cluster als Inspiration an vielen Stellen deutlich herauszuhören. Schon der allererste Klang, eine Art Ortungssignal, erinnert an den Beginn eines Stücks der Cluster-Platte „Cluster 71“.

Driftmachine zielen mit ihrer Musik jedoch in erster Linie auf das Zwischenreich des Traums, ihr Bandname ist Programm, und für das angestrebte Driften werden unter anderem Anleihen beim langsam durch Hallräume fließenden Dubtechno gemacht. Es ist weniger ein Tributalbum als die Fortsetzung der freundlich-kauzigen Haltung von Cluster mit heutigen, manchmal fast bedrohlichen Mitteln.

TIM CASPAR BOEHME

■ Moebius Story Leidecker: „Snowghost Pieces“ (Bureau B/Indigo)

■ Driftmachine: „Nocturnes“ (Umor Rex/Morr)