Leoparden küsst man nicht

HIPPEN EMPFIEHLT Auf dem 16. Internationalen Bremer Symposium zum Film wird anhand von Vorträgen und Filmbeispielen das Thema „Der Film und das Tier“ untersucht

Die Veranstaltung im Waller Medienzentrum ist ungewöhnlich, weil viele der Filme, auf die sich die Vorträge beziehen, im Kino auch gezeigt werden

VON WILFRIED HIPPEN

Es ist einer der bewegendsten Momente der Filmgeschichte, und für mehr als eine Generation von Kino-Novizen vermittelte er einen prägenden Eindruck: Die Mutter von Bambi stirbt. Tiere haben im Kino schon immer eine besondere Rolle gespielt. Ein Grund dafür ist sicher, dass sie humane Eigenschaften so rein und intensiv ausdrücken können, wie dies bei menschlichen Figuren kaum möglich ist. Bambis Unschuld, King Kongs Wildheit, Furys Anmut, Lassies Treue – all das sind extrem wirkungsvolle Projektionen. Und natürlich sehen die Menschen sich immer gerne Tiere an. Ihr Anblick ist dabei auch die Beschwichtigung uralter Ängste: Das Biest ist aufs Bild gebannt und kann uns nicht mehr fressen.

Das Tier im Film ist ein komplizierter und widersprüchlicher Komplex, und so ergibt es viel Sinn, wenn er im Mittelpunkt des 16. Internationalen Bremer Symposium zu Film steht. Dieses ist deutlich kürzer als die Veranstaltungen in den letzten Jahren. Statt eines langen Wochenendes dauert es nur zwei Tage – wie überall musste auch hier eingespart werden.

Aber das Grundprinzip ist erhalten geblieben: Die Kooperation zwischen der Universität Bremen und dem Kino 46 (dessen letzte große Veranstaltung im Waller Medienzentrum dies wohl sein dürfte) ist deswegen so ungewöhnlich, weil sie nicht im streng akademischen Rahmen stattfindet und viele der Filme, auf die sich die Vorträge beziehen, im Kino auch gezeigt werden. So beginnt das Symposium am Freitagmittag mit einem Vortrag über eine Tierdokumentation von 1934. Der britische Filmhistoriker Jonathan Burt analysiert „The Seahorse“ von Jean Painleve und entdeckt dabei, wie sein Vortragstitel verspricht: „vertical creatures with their distinguished sadness“. Dass ein durch das deutschen Fernsehen der sechziger Jahre Sozialisierter dabei natürlich sofort an das Walross in „Urmel aus dem Eis“ von der Augsburger Puppenkiste denken muss, ist ja auch eine interessante Assoziation.

In sechs Vorträgen werden Themen wie die „Inszenierung von Tieren in Zoo und Kino“ von Sabine Nessel, „Erwachsene Tiere und infantile Zuschauer“ von Herbert Schwab über die Schwemme von tierischen Helden in Animationsfilmen oder das sehr spezielle „Eselsrufe wiederholt. Tierstimmen als Klangobjekt“ von Ute Holl behandelt. Dabei bezieht sich letztere auf einen der außergewöhnlichsten Tierfilme: „Au Hasard Balthazar“ von Robert Bresson, der Freitag Nachmittag gezeigt wird, und stilistisch sowie inhaltlich radikal den Leidensweg eines Esels aus dessen Perspektive zeigt.

Welche Rolle Tiere im amerikanischen Kino spielen, untersucht der französische Kulturwissenschaftler Raymond Bellour am Beispiel der klassischen Hollywoodkomödie „Bringing up Baby“ von Howard Hawks, indem eine Vielzahl von Tieren auftretitt, darunter ein Dinosaurier, Schwäne, Hühner, Schmetterlinge und zwei Leoparden, die man gemäß dem deutschen Filmtitel möglichst nicht küssen sollte.

Es ist schön, diese Screwballkomödie mal wieder in der Originalfassung auf der Leinwand sehen zu können, aber der Höhepunkt des Programms dürfte die Vorführung des Films „Nénette“ sein. Der dokumentarische Experimentalfilm zeigt 70 Minuten lang nur eine Orang-Utan-Dame mit ihren zwei Artgenossen hinter der Glasscheibe eines Pariser Zoos. Auf der Tonspur hört man die Kommentare der Besucher, und gerade wegen dieser streng formellen Beschränkung erfährt man nach der Meinung des Kritikers der Frankfurter Rundschau „erstaunlich viel über das Verhältnis zwischen Mensch und Tier“.