KIEZBEGEHUNG
: Ihr Gesicht

So sieht die Gentrifizierung also aus

Im Principe di Napoli redet gerade Jan Liefers auf mich ein, wie er einen Roman aus meinem Verlag verfilmen würde, als ich von einer Gruppe wie aus dem Ei gepellter Jungmänner in akkurat sitzenden Anzügen und hochglanzpolierten braunen Lederschuhen abgelenkt werde. Was tun die hier, frage ich mich. Ich stehe auf, schnappe mir einen der „Gschpritzten“, wie man in Österreich sagen würde: „Was willst du hier, Fremder?“, frage ich. Na ja, würde ich fragen, wenn ich ein Cowboy wäre und hier Cowboy-Land. Hätte ich gefragt, hätte ich erfahren, dass es sich um Münchner „Immobilienhaie“ handelt, die auf der Suche nach „Filetstücken“ sind.

Das zumindest behaupten zwei KiezbewohnerInnen mit großem I, die beim Bäcker in der Schlange vor mir stehen. „Hier haben ja zurzeit alle Angst wegen der Gentrifizierung“, sagt die eine. „Meine Tochter schreibt gerade ihre Abiturarbeit über die Gentrifizierung des Gräfekiezes“, sagt die andere. Oh, denke ich, deshalb die Fremden. Morgen findet eine „Kiezbegehung“ statt.

Vor einem eher unattraktiven Haus in der Dieffenbachstraße verliest ein bärtiger „Kiezbegehungs“-Mann die klagende Anklage eines Anwohners. Eine Immobilienagentur hat sich das Haus unter den Nagel gerissen. Dem äußeren Anschein nach hat sich allerdings nicht viel getan. Es sieht noch genauso heruntergekommen wie vorher aus.

Da der Vortrag nicht wirklich spannend ist, verlasse ich die Gruppe. Zu Hause frage ich mich, ob ich mir vielleicht doch Sorgen machen sollte, da die „Kiezbegehung“ nun vor meinem Haus steht. Ich mische mich unauffällig unter die Leute. Der Hausbesitzer hätte eine Wohnung renoviert und für das fast Dreifache vermietet, höre ich. Stimmt. Danach ist ein nettes Paar eingezogen mit einem großen Zottelhund. So sieht die Gentrifizierung also aus, denke ich. Sie wohnt direkt über mir.

KLAUS BITTERMANN