Die prägnante Stimme ist geblieben

POP Francesco Wilking versucht sich auf seinem Solo-Album als Liedermacher. Mit der Musik seiner Band Tele hat das nicht viel zu tun

Bisweilen hat Wilking sogar etwas Reinhard-Mey-artiges an sich, wenn er den eigenen Bauchnabel zum Mittelpunkt des Universums erhebt

Der altehrwürdige deutsche Beruf des Liedermachers hat in jüngster Vergangenheit eine erhebliche Aufwertung erfahren. Der junge Mensch findet wieder vermehrt zur akustischen Gitarre, um mit ihrer Hilfe möglichst persönliche Reime vorzutragen, während auch die langgedienten Haudegen weiter die Säle füllen. Irgendwo zwischen Wecker und Wader, Poisel und Knyphausen sucht nun auch Francesco Wilking eine Nische.

Auf seinem ersten Solo-Album hat der Sänger von Tele all jene Songs und Ideen aus den letzten zehn Jahren versammelt, die der Rest seiner Band nicht haben wollte. Oder die er selber nicht für geeignet hielt für die Kapelle, die Anfang des Jahrtausends geschlossen aus Freiburg nach Berlin umgezogen war. Und tatsächlich sind die zehn Lieder von „Die Zukunft liegt im Schlaf“ sowohl musikalisch als auch textlich überraschend weit entfernt von Tele.

Eins aber ist Wilking natürlich nicht losgeworden: seine prägnante Stimme. Aber mit diesem durchaus gewöhnungsbedürftigen, ins Weinerliche lappenden Organ trägt er nun Texte vor, die nicht mehr ganz so ausdrücklich der urbanen Boheme der armen, aber sexy Hauptstadt den Puls fühlen, sondern eher den Rückzug ins Private antreten. Aus dem Wir ist ein Ich geworden, und schon der Eröffnungssong „Sag Sarah“ erzählt, unterstützt von einer wehmütigen Mundharmonika, kein bisschen von gesellschaftspolitisch relevanten Zusammenhängen, sondern nur davon, wie es ist, wenn man jemandem sagen muss, dass das mit dem Zusammensein so nicht mehr funktioniert und da auch die Liebe nicht hilft, die immer noch da ist: „Sag Sarah, alles wird gut – nur nicht mit mir.“

So intim und tagebuchartig geht es weiter. Wilking singt über das seltsame Gefühl, wenn man plötzlich religiös werden möchte, über die zweckfreien Geburtstagsgeschenke, die man ab einem gewissen Alter bekommt („Es ist elektrisch und sehr laut, vielleicht irgendwas für die Küche oder fürs Bad, Hauptsache ich brauch’s“), oder er fragt sich, wie es wohl im Inneren eines Ministers aussieht, der im politischen Hamsterrad rotiert. Tatsächlich hat Wilking bisweilen sogar etwas Reinhard-Mey-artiges an sich, wenn er den eigenen Bauchnabel zum Mittelpunkt des Universums erhebt, aber zum Glück greift er dabei nicht auf dessen selbstgefällige Rührseligkeit zurück. Am deutlichsten wird das, wenn Wilking über das Älterwerden singt. Ein Thema, das einer wie Mey leicht zu bräsigen Witzen und altbackenen Lebensweisheiten genutzt hätte. Wilking aber hat ein Lied geschrieben, das ganz ernsthaft und sehr traurig ist, ziemlich ernüchternd und zugleich doch aufbauend. „Ich werde alt und schaue dann, was kommt“, brummt er ein wenig unwillig und freut sich dann doch auf die Aussichten, was denn da kommen mag, denn das ist sehr befreiend: „Wahrscheinlich nichts.“

Auch musikalisch hat sich der Solist Francesco Wilking weit von seiner angestammten Band entfernt. Der gnadenlos glatt polierte, aber rhythmisch fordernde Soft-Rock von Tele ist nirgendwo zu entdecken. Stattdessen wurde das Album in nur drei Tagen eingespielt mit einer simplen Grundbesetzung aus Akustikgitarre, Bass und Schlagzeug, die nur vorsichtig von Mundharmonika, Banjo, Klavier oder auch mal einem einsamen Blasinstrument ergänzt wird. Das Ergebnis sind Arrangements, die zwar nicht grobschlächtig wirken, aber doch vor allem dazu dienen, das Lied in den Vordergrund zu rücken. Das ist es dann ja wohl, was einen zum Liedermacher macht. THOMAS WINKLER

■ Francesco Wilking: „Die Zukunft liegt im Schlaf“ (Tapete/Indigo)