: Das falsche Opfer
23-jährige Frau zeigte eine Vergewaltigung an, die es nicht gab, und löste eine Großfahndung aus. Hamburger Amtsgericht: Damit hat sie allen einen Bärendienst erwiesen, die tatsächlich Opfer sind
Von Elke Spanner
Positiv ausgedrückt könnte man sagen, Vivian D. wusste nicht, was sie anrichtete. Es ist eine Sichtweise, die einer erwachsenen Frau nicht eben schmeichelt, der 23-Jährigen aber die Chance auf eine milde Strafe eröffnet. Sie selbst hat kein Problem damit, als naiv dazustehen. Immer wieder beteuert sie vor dem Hamburger Amtsgericht: „Ich weiß auch nicht, warum ich das getan habe.“ Ihre Bemühungen werden nur von einem leicht trotzigen Unterton sabotiert. Das klingt dann doch nicht ganz so hilflos, und ihr Anwalt lächelt jedes Mal entschuldigend Richtung Gericht.
Weniger vorsichtig formuliert muss man sagen, Vivian D. hat ihre persönlichen Probleme auf Kosten aller Frauen gelöst, die Opfer einer Vergewaltigung sind. Die 23-Jährige hat eine Vergewaltigung angezeigt, die es nicht gegeben hat. Wenige Tage vor ihrer Hochzeit ist sie fremdgegangen. Danach bekam sie Panik, sie könnte schwanger sein. Vivian D. ging nicht zur Gynäkologin, um sich die „Pille danach“ zu besorgen. Vivian D. ging zur Polizei und behauptete, auf der Damentoilette eines Kaufhauses in der Hamburger Mönckebergstraße von einem Unbekannten vergewaltigt worden zu sein. Jetzt war sie keine Täterin mehr, die ihren Mann hintergangen hatte. Jetzt war sie das Opfer, und ihr Mann nahm sie tröstend in den Arm.
Heute beteuert sie, sie habe das alles nicht gewollt. Sie wäre von sich aus gar nicht zur Polizei gegangen, sondern wollte die Lüge nur ihrer Familie auftischen. Deshalb habe sie weinend bei ihrer Mutter angerufen. Die aber handelte so, wie in einer solchen Situation zu handeln ist: Sie kam sofort, rief auch den künftigen Ehemann nach Hause, dann fuhren alle zusammen aufs Landeskriminalamt. Zum Problem wurde für Vivian D. zynischerweise, dass auch die Polizei vorbildlich auf ihre Beschuldigung reagierte.
Oft stellen die Ermittler die misshandelte Frau mit kleinteiligen Fragen zum Hergang der Vergewaltigung dermaßen in Frage, dass sie sich ein weiteres Mal als Opfer fühlt. Sie muss dann nicht nur mit ihren Erlebnissen kämpfen, sondern auch noch um ihre Glaubwürdigkeit, und diesen Kampf gewinnt nicht jede Frau.
Mit Vivian D. aber sind die Beamten im Polizeipräsidium sehr einfühlsam umgegangen. Sofort wurde ihr eine Ermittlerin zur Seite gestellt. Die beiden wurden zur Vernehmung alleingelassen. Die Polizistin war für den Umgang mit Gewaltopfern geschult, sie war rücksichtsvoll, und sie glaubte Vivian D. Am Ende stand im Protokoll, dass Vivian D., 23 Jahre alt, am Vormittag des 17. Mai 2006 Opfer einer Vergewaltigung geworden war. Damit lief die Fahndungsmaschinerie an.
Die Polizei leitete sofort eine Großfahndung nach dem unbekannten Täter ein. Man fürchtete, es mit einem Serientäter zu tun zu haben, der sich seine Opfer auf Damentoiletten sucht. Wenige Tage später sollte die Fußball-Weltmeisterschaft beginnen, und die Polizei war ohnehin aufs Höchste alarmiert. Einsatzkräfte rückten zum Tatort aus.
Währenddessen schickte die Polizistin das angebliche Vergewaltigungsopfer zur gynäkologischen Untersuchung. Das gefundene Sperma wurde zur DNA-Probe eingeschickt. „Ich konnte doch nicht mehr zurück“, stammelt Vivian D. „Wie hätte ich das meiner Familie erklären sollen?“
Schließlich hat sie „den allerletzten Zug“ genommen, um aus dieser Geschichte wieder herauszukommen. So drückt es der Richter am Amtsgericht aus, der die 23-Jährige zu einer sechsmonatigen Bewährungsstrafe verurteilt. Ihre Lüge gestand Vivian D. erst kleinlaut ein, als ihr Lover dafür ins Gefängnis sollte. Die DNA-Probe war ein Volltreffer – ihr Liebhaber war in der polizeilichen Datenbank registriert. Als die Ermittler das Ergebnis bekamen, zögerten sie keine Sekunde. Sofort forderten sie ein mobiles Einsatzkommando an, das stürmte die Wohnung des verblüfften Mannes und führte diesen in Handschellen ab.
Mit dem Vorwurf konfrontiert, erzählte er, dass Vivian D. eine frühere Geliebte von ihm sei. Jetzt wurden die Polizisten hellhörig. Erneut luden sie die Frau zur Vernehmung. Erst leugnete Vivian D., den verhafteten Mann zu kennen. Irgendwann dann, die Fragen wurden drängender, gab sie auf.
Ihr Mann hält zu ihr, trotz alledem. Inzwischen sind sie verheiratet, und er begleitet sie zum Gericht. Wieder schlüpft Vivian D. in eine Opferrolle. Als ein Pressefotograf sie ablichten will, schottet ihr Mann sie schützend ab. Die 23-Jährige muss die Kosten der Polizeieinsätze tragen. Der Richter weist darauf hin, dass sie nicht nur sich selbst geschadet habe: „Sie haben allen Frauen, die wirklich Opfer einer Vergewaltigung geworden sind, einen Bärendienst erwiesen.“