Sauber ins Grab

JUSTIZ Eine 80-Jährige soll mit ihrer Krücke ein Kind verprügelt haben und stand deswegen vor Gericht

Polternd fällt im Gerichtssaal der Gehstock zu Boden. „Das ist meine Schlagwaffe“, sagt Margit L. Damit soll die zierliche 80-Jährige einen Fünfjährigen traktiert haben. Anschließend habe das Kind blaue Flecken auf dem Arm und einen geröteten Rücken gehabt, steht in der Anklage. Das sei eine Lüge, sie sei an besagtem Junitag gar nicht in Berlin gewesen, behauptet die ehemalige Opernsängerin. Aber, so interveniert der Richter, die Polizei habe sie doch zwei Stunden später in ihrer Wohnung getroffen! Da habe man ihr Blut abgenommen und 1,4 Promille Alkohol festgestellt. Als die Angeklagte zwei weitere mögliche Tattage mit dem charmanten Hinweis ins Spiel bringt, es könne sich um einen EDV-Fehler handeln, schlägt der Richter vor, das Datum der Tat erst einmal wegzulassen.

An jenem heißen Tag will die Seniorin mit ihrem Gatten und vier weiteren Männern an einem türkischen Imbiss in Lichtenberg Bier getrunken haben. Das und ihre kurzen Shorts sei bei den ebenfalls anwesenden muslimischen Frauen nicht gut angekommen. Die hätten immerzu zu ihr herübergestarrt, statt sich um ihre Kinder zu kümmern, die sich währenddessen mit Stöcken verdroschen hätten. Deshalb will die angeklagte Hobbyfechterin dazwischengegangen sein und dem Fünfjährigen erklärt haben: „Die Oma zeigt dir mal ’ne Sekund, ’ne Terz, und das ist ’ne Quart!“ Mit erhobenem Gehstock wiederholt Margit L. vor dem Richtertisch ihre Kindershow. „Ich habe ihm bewiesen, dass man mit ’ner Quart den Stock verliert!“

Eine Brücke gebaut

Der Richter will der wenig Reuigen eine Brücke bauen: „Sie sind ja noch nie mit dem Gesetz in Konflikt geraten, das Kind ist nicht ernsthaft verletzt worden. Ist Ihnen die Situation vielleicht entglitten?“ „Nein, ich wollte dem Kind helfen!“, bekommt er zur Antwort. Geduldig probiert es der erfahrene Jugendrichter wieder: „Haben Sie das Kind vielleicht unabsichtlich getroffen?“ Endlich fallen die erlösenden Worte: „Das könnte möglich sein“, sagt Margit L.

Zur Belohnung beschließen Richter und Staatsanwalt, das Verfahren einzustellen. Die Rentnerin ist glücklich, sie möchte „sauber ins Grab gehen“, wie sie versichert. Der Richter erklärt die Gründe der Entscheidung: Das Kind sei nicht stark verletzt worden. Alkohol und Alter hätten bei der Angeklagten ein Übriges getan. Es sei jedenfalls unverhältnismäßig, die Sache mithilfe der fünf- bis elfjährigen Zeugen aufzuklären. Künftig solle sich L. aber aus solchen Streitigkeiten heraushalten. UTA EISENHARDT