UNIFORMITÄT ALS SEHR SPEZIELLES SEGMENT DES KAPITALISMUS
: Die menschliche Nähe der Trikotträger

JOHANNES KOPP

Schwarz-rot-gold sind seine Fingernägel lackiert. Und nur selten entfernen sie sich von dem Bierglas, das dieser trinkfeste Mann wohl aus Prinzip nur ins Ausnahmefällen loslässt. Ein Deutschlandtrikot trägt er auch noch dieser Engländer, der mit seinen Saufkumpanen in einer Strandbar an der Copacabana sitzt. Ein offensichtlicher Fall von Wettschulden. So sind sie halt, die Briten. Im Nachhinein hätte der arme Kerl wahrscheinlich lieber sein Haus oder sein Auto aufs Spiel gesetzt.

Würde er nicht so viel rumkrakeelen, wäre er wahrscheinlich allenfalls wegen seiner Fingernägel aufgefallen. Es sind nämlich eigentlich die Kleinigkeiten, die einen aus der WM-normierten Masse hervorheben. Überall in der Stadt, ob Kinder oder Erwachsene, dominieren die Trikotträger das Stadtbild.

Wenn man Rio de Janeiro von ganz weit oben betrachtet, mit den Augen der Christusstatue etwa, dann ergibt sich jeden Tag ein neues Farbenspiel. Erst war die Stadt argentinisch blau-weiß gestreift, dann leuchtete sie brasilianisch kanariengelb auf und zuletzt nahm sie den chilenisch-spanischen roten Farbton an. Im Aufzug meiner Unterkunft stehe ich des Öfteren mit einer Nummer 4, Nummer 8 oder Nummer 10 zusammen. Irgendwie scheinen hier alle von einer übergeordneten Mission getrieben zu sein. Es ist ein wenig wie auf einem evangelischen Kirchentag, nur die Gesänge sind nicht ganz so glockenhell.

Spielen die Brasilianer, wird das Ganze noch einmal auf die Spitze getrieben. Das Überziehen des gelb-grünen Trikots ist Pflicht. Selbst die älteren Menschen scheinen nicht davon befreit zu sein. Wer unbedingt etwas anders sein will, kann in das blaue Ausweichtrikot der Seleção hineinschlüpfen.

Dieser Gemeinsinn ist von der Fifa ausdrücklich erwünscht. Auf den Eintrittskarten steht geschrieben, dass der Weltfußballverband das Tragen der Nationalfarben durch die Zuschauer ausdrücklich unterstützt. In welcher Form ist allerdings nicht ausgeführt. Möglicherweise wird bald ein Dresscode in den Stadien eingeführt, weil diese Farbenpracht nach außen hin so viel mehr hermacht, als wenn einfach jeder anzieht, was er gerade möchte. Und was noch mehr zählt: Die nationalen Fußballverbände und die sie unterstützenden Sportartikelhersteller verdienen prächtig daran, dass derzeit die Hemden der Nationalteams so begehrt sind. Es ist ein sehr spezielles Segment des kapitalistischen Geschäfts. Der Profit speist sich daraus, dass alle gleich sein wollen.

In einem Metrowagen mit 200 blau-weiß gewandeten Argentiniern gerät man so in Zivil schon auch mal in Erklärungsnot. Na klar, sage ich, finde ich das argentinische Team ganz prima. Ich lobe so ausgiebig wie es mein Spanisch zulässt deren Offensivpotenzial. Und Messi, gebe ich zu, ist sowieso der Beste. Besser als Pelé, singen sie in dem zum Bersten vollen Wagen. Bei so viel menschlicher Nähe will ich erst gar keine Differenzen aufkommen lassen.