Gelegenheitsdiebe
: Strom in den Fäusten

„Franzi, bin gleich da, ick liebe dir“, lallt der eine

Es war ein schöner Freitagabend. Erst Hallenfußball auf weichem Kunstrasen, danach Bier und Buletten in der Kneipe. Gegen Mitternacht komme ich auf meinem fast menschenleeren Vorort-S-Bahnhof an. Über eine Brücke gehe ich zu den Fahrradstellplätzen direkt am Bahnhof.

Zwischen dem Fahrradparkplatz und dem Bahnsteig, die auf einer Ebene liegen, befinden sich nur ein Gleis und ein Zaun; wenn ein Zug einfährt, könnte man gegen die Scheiben spucken. Als ich meine Sporttasche abstelle und mein Fahrradschloss löse, höre ich zwei junge Männer, die auf dem Bahnsteig warten. „Franzi, bin gleich da, ick liebe dir“, lallt der eine ins Handy. Der andere, ebenfalls sturzbetrunken, schreit: „Wann kommt endlich die Scheiß-S-Bahn?“ Er beugt sich über die Schiene, um nachzuschauen – und fällt aufs Gleis.

An den Zaun herantretend, schaue ich nach, ob der Gestürzte Hilfe braucht. Er räkelt sich auf den Bahnschwellen. „Geilet Bett“, ruft er. „Tschuldijung“, sage ich laut, „du weeßt schon, dass Strom in der Stromschiene ist.“ Sofort springt der Mann auf. „Du Arschloch“, brüllt er, „ick zeije dir gleich, wie viel Strom in meenen Fäusten ist.“ Erstaunlich behende überwindet er die Stromschiene und klettert auf den Zaun. Schlägertypen sind unberechenbar, schießt es mir durch den Kopf, ich habe Frau und Kinder und will auch wieder Fußball spielen. Ich schnappe mein Fahrrad und rase los.

In sicherer Entfernung halte ich an und sehe, wie der Mann mit meiner Tasche auf den Bahnsteig klettert. Kurz darauf fahren die beiden mit der nächsten S-Bahn ab. Fünf Minuten später kommt die Polizei, die ich gerufen habe. Gefasst werden die Diebe nicht; meine Tasche, in der sich nur Dusch- und Sportzeug befand, ist verloren.

„Gut, dass dir nichts passiert ist“, sagt meine Frau, als ich nach Hause komme. „Endlich sind deine stinkenden Fußballschuhe weg.“ RICHARD ROTHER