„Hürriyet“ vor dem Verkauf

TÜRKEI Die Dogan-Mediengruppe scheint den Kampf mit der Regierung aufzugeben

AUS ISTANBUL JÜRGEN GOTTSCHLICH

In der Türkei steht ein entscheidender Umbruch der gesamten Medienlandschaft bevor. Nach Berichten verschiedener Zeitungen, die inoffiziell auch bestätigt werden, will das größte Medienunternehmen des Landes, die Dogan Media Group, nach und nach ihr gesamtes Zeitungs- und Fernsehimperium verkaufen.

Laut Nachrichtenagentur Reuters soll die US-Investmentbank Goldman Sachs den Verkauf abwickeln. Angeblich sollen ab Februar die ersten Gebote entgegengenommen werden. Noch herrscht allerdings Unklarheit, was wirklich verkauft werden soll. „Theoretisch ist alles möglich“, sagte ein Firmensprecher, wollte aber weiter keine konkreten Angaben machen. Als dann wenig später aber das ganz konkrete Gerücht verbreitet wurde, die Zeitung Hürriyet mit rund 500.000 täglichen Exemplaren, das Flaggschiff der Gruppe, soll separat verscherbelt werden, dementierte die Dogan Media Group dann doch. Die Hürriyet hieß es, werde zunächst nicht verkauft.

Der Verkauf der Dogan-Medien dürfte gravierende Auswirkungen auf die türkische Presse- und Medienlandschaft haben. Seit die AK Parti von Ministerpräsident Tayyip Erdogan 2002 die Macht in Ankara übernahm, hat sich der Medienmarkt scharf getrennt in die beiden Lager pro und contra Regierung. Es sind eine Reihe neuer Zeitungen und Fernsehkanäle entstanden, die mehr oder weniger deutlich die islamisch grundierte Regierung der AKP unterstützen. Die säkular orientierten Medienprodukte aus dem Hause Dogan hingegen sind im Laufe der Jahre immer deutlicher in Opposition zur Regierung geraten.

Die Dogan-Gruppe ist das mit Abstand größte Unternehmen im regierungskritischen Lager. „Ohne die Dogan-Medien“, so Kerem Caliskan, der einige Jahre Chef der Europa Ausgabe der Hürriyet in Frankfurt war und nun den unabhängigen Onlinedienst „Europa aktiv“ leitet, „wird die regierungskritische Meinung in der Türkei völlig marginalisiert. Wir hätten dann einen Durchmarsch der AKP auf ganzer Linie.“

Nicht nur Caliskan, sondern auch viele unabhängige Beobachter sehen die Verkaufsofferten von Dogan Media deshalb als Schlusspunkt in einer harten politischen Auseinandersetzung zwischen dem Patriarchen der Holding, Aydin Dogan, und dem Ministerpräsidenten Tayyip Erdogan.

Erdogan macht schon seit längerem aus seiner Gegnerschaft zu Aydin Dogan keinen Hehl. Er kritisierte die Zeitungen aus dem Hause Dogan scharf, rief öffentlich dazu auf, sie nicht zu kaufen, und als das alles nichts nutzte, schickte er die Steuerprüfer. Im Frühjahr 2009 wurden die dann erwartungsgemäß fündig. Insgesamt 2,3 Milliarden Euro soll die Dogan Holding an Steuerschuld nachzahlen, ein Betrag, der auch einen sehr reichen Mann wie Aydin Dogan ruinieren kann. Die Dogan Medien klagten und wechselten zugleich Chefredakteure und Kolumnisten aus, die Erdogan besonders geärgert hatten. Doch alle Appeasementpolitik hat bislang nichts gebracht: Eine angestrebte Einigung kam nicht zustande.

Auch wenn Dogan vor Gericht einige Erfolge erzielte, nach Einschätzung von Insidern ist der Tycoon von dem Konflikt völlig zermürbt. Persönlich hat er sich aus der Führung seines Unternehmens bereits zurückgezogen. Chefin der Dogan Medien Holding ist seit Anfang 2010 seine Tochter Arzuhan Dogan-Yalcindag, eine profilierte Geschäftsfrau, die zuvor als Präsidentin des wichtigsten Unternehmerverbandes Tüsiad fungierte.

Doch Aydin Dogan, davon geht zumindest Kerem Caliskan aus, will seiner Tochter Arzuhan und deren drei Schwestern, ebenfalls Geschäftsfrauen, den Konflikt mit der Regierung nicht hinterlassen, sondern sein Medienimperium stattdessen lieber verkaufen. „Dogan wartet vielleicht noch bis zu den Wahlen im Juni dieses Jahres. Gewinnt die AKP erneut, wird wohl auch Hürriyet verkauft“, sagt Caliskan. Offizielle Kaufinteressenten sind derzeit der US-Medienkonzern Time Warner und die Finanzinvestoren KKR und TPG.

Als weiterer Interessent wird immer wieder die Springer AG genannt, sie hält schon jetzt rund 10 Prozent Anteile an der Dogan Medien Group. Caliskan hält das jedoch für unwahrscheinlich. „Erdogan will keinen deutschen Großinvestor in der türkischen Medienlandschaft, dafür sind seine politischen Beziehungen zu Deutschland zu schlecht.“ Besser passen würde da die ebenfalls als einer der Interessenten gehandelte News Corporation von Rupert Murdoch, deren türkische Vertreter angeblich beste Beziehungen zur AKP haben sollen.