„Es geht darum, aus der Reihe zu tanzen“

Das Geschäft beim Schnaps-Hersteller Jägermeister brummt, weil die Wolfenbütteler erfolgreich am Image-Wandel der Marke arbeiten und den urdeutschen Likör immer mehr im Ausland etablieren. Wie geht das? Jägermeister-Chef Hasso Kaempfe über Südostasien, Coolness und Hustensaft

Interview: Klaus Irler

taz: Herr Kaempfe, als Sie 1998 als Vorstandsvorsitzender anfingen, galt Jägermeister als eher uncoole Marke für Menschen ab 50. Ihr Ziel war es, die Marke zu verjüngen. Wie sind Sie vorgegangen?

Hasso Kaempfe: Wir mussten erst langsam herausfinden, wie weit man mit der Marke gehen kann. Wir konnten uns nicht plötzlich auf jung schminken – das wäre unglaubwürdig gewesen. Außerdem muss eine Traditionsmarke erst mal ihre traditionellen Verwender halten. Wenn ich jetzt auf die andere Straßenseite sehe und da steht am Fenster eine alte Dame, die nachmittags ihr handwarmes Likörchen trinkt, dann hat sie eine ganz andere Vorstellung, was dieser Likör leisten soll, als junge Leute, die Jägermeister als eiskalten Shot in der Kneipe trinken. Die Kunst der Markenführung besteht darin, diese ganz unterschiedlichen Zielgruppen bedarfsgerecht so zu bedienen, dass sich diese Ansätze nicht gegenseitig stören.

Der aktuelle Jägermeister-Slogan lautet: „Achtung wild!“ Auf welche Botschaft zielt der Slogan ab?

Es geht darum, ein bisschen aus der Reihe tanzen, Dinge zu tun, die noch keiner getan hat, selbst wenn es dann mal in die Hose gehen sollte. Ein bisschen ruppiger, eckiger und kantiger zu sein. Das ist heute ein Ansatz, den mittlerweile alle vertragen. Weil ja auch die alte Dame von gegenüber mitbekommen hat, dass irgendetwas mit der Marke passiert ist. Und jetzt kann man ihr zumuten, sich mit etwas auseinander zu setzen, das gar nicht ihre eigene Welt ist.

Aber erreichen Sie damit auch die alten Stammkunden?

Wenn man in der Werbung Szenen zeigt, in denen die Darsteller zwischen 25 und 30 sind, berührt das Leute zwischen 50 und 60 nicht negativ. Weil die meistens ganz positive Erinnerungen an diese Lebensphase haben. So lange man mit Symbolen arbeitet und im Fernsehen nicht zu schnell schneidet, verstehen das diese Leute noch. Dann braucht man auch kein „Altenmarketing“ zu betreiben.

Jägermeister machte in den 1970er und 80er Jahren viel Sport-Sponsoring, heute aber werben Sie vor allem im Rockbereich. Warum?

Weil wir glauben, dass man dort authentischer Marketing machen kann. Schnaps und Sport passen für aktive Sportler erst mal nicht zueinander. Das wird unglaubwürdig. Bei der Rockmusik haben wir den Vorteil, dass das ein generationenübergreifendes Musikgenre ist. 1970 habe ich auch Rockmusik gehört – das waren zwar andere Bands, aber der Sound war ähnlich. Das ist kein Thema, das nur jung ist. Außerdem findet Rockmusik in Clubs statt, wo es sowieso etwas zu trinken gibt. Das ist ein natürliches Umfeld, und das Genre der Musik – eckig, kantig, wild – passt zu dem, was wir als Marke machen.

Sprechen die Markenattribute „Eckig, kantig, wild“ auch Frauen an?

Weniger als Männer. Da bin ich vollkommen nüchtern: Frauen trinken im Schnitt einfach weniger. Es gab immer Überlegungen, das Marketing weiblicher zu machen – dann muss man sich von dem Macho-Charakter der Marke abgrenzen. Wir haben aber nie ein Frauenförderprogramm gemacht. Es ist immer fatal zu versuchen, alles zu haben: Männlich, weiblich, jung, alt und in der Havanna-Bar in Hamburg genauso präsent zu sein, wie in einer deutschen Eck-Kneipe – irgendwo verlieren Sie Kontur. Ich glaube, dass Markenführung in erster Linie aus Verzicht besteht: Man darf viele Dinge einfach nicht machen, obwohl sie gut sind.

Vor fünf, sechs Jahren waren in deutschen Großstädten plötzlich Hirsch-Geweihe und Rustikal-Möbel hip. Ein Geschenk des Schicksals?

Am Anfang war es schon erstaunlich, dass es so einen Trend gab. Es gab so einen schönen Satz: Jägermeister ist so uncool, dass er schon wieder cool ist. Das war Sven Väth in Frankfurt, der schon 1996/97 ein Jägermeister-T-Shirt trug und damit Furore machte. Mittlerweile aber ist die Szene ganz anders. Heute läuft Jägermeister eben nicht mehr gegen den Strom, weil wir sehr viel an jüngeren Erwachsenen als Interessenten gewonnen haben.

Welche Rolle spielten die „Toten Hosen“ mit ihrem Song „Zehn kleine Jägermeister“ von 1996 für den Imagewandel von Jägermeister?

Eine kleinere, als man heute denken mag. Im offiziellen Wolfenbüttel sind die Toten Hosen damals nicht wahrgenommen worden. Ich behaupte, dass es einen Absatzkick nach oben gab, als das Lied veröffentlicht wurde. Aber das Haus war damals gar nicht darauf vorbereitet, sich mit so einer Band zu beschäftigen.

Jägermeister wurde davon überrascht?

Ja, da ist nie ein Vertrag gewesen. Ich habe später die Toten Hosen und ihren Manager kennen gelernt. Sie haben immer bedauert, dass mein Vorgänger Günter Mast für diese Startleistung nie gezahlt hat.

Wenn es den Song nicht von selbst gegeben hätte, wären die Toten Hosen heute eine Band, die zu Ihrer Marketing-Strategie im Rock-Bereich passen würde?

Die Toten Hosen sind für uns eigentlich fast eine Nummer zu groß. Anfangs haben auch wir diese Fehler gemacht, die andere mit Begeisterung immer noch machen, dass man versucht, möglichst große und bekannte Bands zu holen. Um sich dann in dem Namen etwa der „Rolling Stones“ zu sonnen. Was in den meisten Fällen unsinnig ist, denn Sie unterschreiben lange Verträge, was Sie alles nicht dürfen. Sie dürfen zahlen, aber große Künstler haben es gar nicht nötig, sich für die Marke zu engagieren.

Das heißt, der Vorteil bei weniger bekannten Bands ist, dass die sich eher nach Ihnen richten?

Nein, es geht darum, Markenbotschafter zu finden, Bands, die die Marke selber so gut finden, dass sie sie auch leben. Wir lenken die Musiker gar nicht in ihrem Auftritt, sondern lassen ihnen weitgehende Freiheit, wie sie ihre „Dankbarkeit“ für unsere Unterstützung darstellen. Ich sage immer: Die beste Werbeform ist, wenn der Sänger einen Schluck aus einer Flasche Jägermeister nimmt und diese dann ins Publikum gibt. Aber das kann man keinem aufgeben.

Das Auslandsgeschäft hat bei Jägermeister einen Anteil von über 70 Prozent und Sie arbeiten daran, das Auslandsgeschäft weiter auszubauen. Auf welche Schwierigkeiten stoßen Sie bei der Einführung der Marke im Ausland?

Erstens haben wir die Schwierigkeit, dass man das Segment der Kräuterliköre in vielen Ländern gar nicht kennt – das ist ja eine deutsche Spezialität. Das zweite ist: Bei diesem riesigen Angebot an Spirituosen weltweit wartet niemand auf Jägermeister. Wenn Sie heute nach Korea kommen, sagt niemand: Gut, dass ihr endlich da seit. Man kann das Etikett nicht lesen, man kennt den Geschmack nicht und wenn man es zum ersten Mal trinkt, ist für die Leute auch erst mal die Frage: Was unterscheidet einen Kräuterlikör eigentlich von Hustensaft? Das ist eine relativ starke Marketing-Aufgabe.

Wie lösen Sie die?

Wir besetzen meistens erst kleine Nischen, dann arbeiten wir lange Jahre und plötzlich schnellen die Verkaufszahlen nach oben. In Australien zum Beispiel waren wir Jahre lang nur in Ski-Gebieten zu finden. Dann ist Jägermeister von dort aus in die Metropolen getragen worden und kam dann aus der Gastronomie in den Handel. Man kommt immer über die Gastronomie, dort muss man über Jahre das Produkt aufbauen. Das kann aber zehn bis 20 Jahre dauern. Dazu brauchen Sie ein Familienunternehmen, das diese Geduld hat, und nicht einen Konzern, der schnelle Gewinne haben will.

Ihr erfolgreichster Auslandsmarkt sind die USA. Welche Rolle spielt dort die deutsche Herkunft des Jägermeisters?

Eine kleinere, als wir immer geglaubt haben. Als sich Gerhard Schröder beim zweiten Irakkrieg gegen eine deutsche Beteiligung aussprach, hatte das für viele deutsche und französische Marken in den USA negative Auswirkungen. Wir haben das nicht gemerkt. Das spricht dafür, dass Jägermeister in den USA nicht als so deutsch wahrgenommen wird, sondern eher als europäisch exotisch. Andererseits ist es so, dass Jägermeister in amerikanischen Schulen als Beispiel genannt wird, wenn der a-Umlaut auf dem Lehrplan steht. Die Lehrer sagen: Ä ist das, was bei Jägermeister auf dem Etikett steht. Aber wir machen kein Marketing als deutsches Produkt.

In den USA veranstalten Sie pro Jahr zwei große Rockmusik-Tourneen. Um welche Art von Rock geht es da?

Das ist eher Heavy Metal. Das ist von der Musik her härter, als bei unseren Rock-Veranstaltungen in Deutschland. In den USA trinkt man ein paar Shots und zeigt damit, was man kann – das ist dann schon eine männliche Veranstaltung.

Was ist Ihre Vermutung, warum die amerikanischen Metal-Musiker so auf Jägermeister abfahren?

Jägermeister gilt dort als exotisches Getränk, das die Eltern nicht trinken. Und anders als in Deutschland war Jägermeister in den USA immer schon mehr ein Getränk der 25-Jährigen als der 40-Jährigen. Aber das ist etwas, das man nicht steuern kann. Sie müssen ein Einfalltor haben, wie über die Rockmusik. Es ist Glück, dass Jägermeister dort zu einem Teil der Rock-Kultur geworden ist, so wie die Harley Davidson oder die Farbe Schwarz. Die Kunst des Unternehmens ist, das so zu pflegen, dass man nicht stört. Sonst sagen die Leute: Ich suche mir doch selber aus, was ich trinke.

Welches wird Ihr nächster großer Schritt bei der Erschließung von Auslandsmärkten sein?

In Südostasien ist noch viel Potenzial, wir sind dort überall angetreten, auch in China und Korea. Irgendwann wird man sich auch über Indien unterhalten, aber das ist problematisch, weil die Inder einen relativ hohen Zoll haben. Das Zweite ist Südamerika. Wir sind in Brasilien und Mexiko und ein bisschen in Argentinien. Südostasien und Südamerika sind die beiden großen Regionen.

Sind Sie selbst viel auf Dienstreise?

Nein, es gibt einen Kollegen mit der Hauptaufgabe, zu reisen. Mein Vorstandskollege Jack Blecker, zuständig für den Vertrieb im In- und Ausland, übernimmt diese Aufgabe hauptsächlich. Das Geschick besteht darin, die richtigen Partner zu finden und mit ihnen Programme abzustimmen, die sie vor Ort implementieren müssen. Dabei geben wir ihnen dann so viel Freiheit, dass sie eine Eigenmotivation haben und Jägermeister als eigene Marke verstehen.

Werden Sie in China auch die deutsche Karte spielen?

Überhaupt nicht. Wir nehmen nicht einmal den Namen Jägermeister. In diesen Märkten wird Jägermeister eher als amerikanisches Getränk wahrgenommen.

Wie wird Jägermeister in China heißen?

Es gab drei Möglichkeiten: Man hätte sich entscheiden können, „Jägermeister“ ins Chinesische zu übersetzen oder phonetisch in die Nähe des Urnamens zu kommen oder einen Kunstnamen zu entwickeln. Wir haben uns für eine Mischung aus den letzten beiden Möglichkeiten entschieden.