Zielstrebige Zebras liegen vorn

Handball-Bundesligist THW Kiel siegt im Nordderby über Flensburg und streicht neben Punkten und Prestige etwas noch Wichtigeres ein: neues Selbstbewusstsein nach dem Debakel von Magdeburg

VON CHRISTIAN GÖRTZEN

Dominik Klein strahlte wie ein kleiner Junge nach der Bescherung. „Das war mein erstes Derby mit dem THW gegen Flensburg. Die Stimmung in der Halle war sensationell, die Fans wollten uns mitreißen, und das haben sie auch geschafft. Es war genial. Beim Begriff Derby dachte ich bisher immer an Spiele mit meinem Ex-Klub Obernburg gegen Kirchzell“, sagte der 23 Jahre alte Nationalspieler. Zu dem genannten Klassiker der 2. Bundesliga Süd kommen etwa 800 Zuschauer. In der Ostseehalle waren es am Sonnabend 10.250.

Natürlich war die Halle schon mehrere Wochen im Voraus ausverkauft gewesen. Das ist jedes Mal so, wenn der THW Kiel den ungeliebten Nachbarn aus dem Norden zu Gast hat, die SG Flensburg-Handewitt. Die Fußball-Revierderbys zwischen Dortmund und Schalke finden im Handball in den Duellen zwischen Kiel und Flensburg ihre Entsprechung. Diesmal gewann Kiel mit 36:34. Ein verdienter Sieg – und für die „Zebras“ ein enorm wichtiger.

Denn es stand mehr auf dem Spiel als zwei Punkte und jede Menge Prestige: Für die Kieler ging es auch um Vergangenheitsbewältigung. Am vergangenen Mittwoch hatten sie ihren schlimmsten Albtraum erlebt. Mit 24:39 war der Meister beim SC Magdeburg untergegangen – und das nach einer 18:16-Führung zur Pause. In der gesamten zweiten Halbzeit brachten die erfolgsverwöhnten Kieler bloß sechs Tore zustande. Es war die höchste Niederlage seit dem 14:29 am 19. Mai 1986 bei TuSEM Essen.

„Nach der sportlichen Katastrophe in Magdeburg war es heute kein leichtes Spiel für uns“, sagte THW-Trainer Noka Serdarusic nun. „Ich habe mich selbst gefragt: ,Kann das Team dieses Debakel hinter sich lassen?‘“ Wie schon in Magdeburg führten die „Zebras“ auch gegen Flensburg zur Pause mit zwei Toren Differenz (17:15), aber dieses Mal brach der Favorit auf den Titelgewinn 2007 nicht auf unerklärliche Weise ein. So sehr sich Flensburg darum mühte, den Rückstand zu tilgen: Immer wenn die SG nahe am Ausgleich war, zogen die Kieler wieder um einige Tore davon. Hatten die Kieler in Magdeburg in der zweiten Halbzeit kopflos und ungestüm agiert wie eine Laienschar, war dies nun der THW, wie man ihn kennt: routiniert, listig und zielstrebig.

Sie hätten viel ruhiger gespielt, sagte der französische Nationalspieler Nikola Karabatic nach der Partie – „nicht immer mit dem Kopf durch die Wand“. Seinem Landsmann, Kiels Torhüter Thierry Omeyer, kam mit 16 Paraden ein beträchtlicher Anteil am Sieg zu. „Für uns war es wichtig, nach der Pause nicht in der Konzentration nachzulassen. Das ist uns gelungen. Wir hatten keine Schwachstelle“, sagte Christian Zeitz, noch ein Nationalspieler im Team der „Zebras“.

Für Kiel ist nach diesem Sieg fast wieder alles im Lot – sieht man einmal davon ab, dass eigentlich zwei bis drei Minuspunkte weniger eingeplant waren. Vor dem Spiel bei der HSG Nordhorn gestern Abend führten die Kieler die Tabelle dank des besseren Torverhältnisses vor Flensburg (beide 27:5 Punkte) an. So bleibt, trotz des Debakels in Magdeburg, der THW Kiel der erste Anwärter auf den Gewinn der Meisterschaft. Flensburg gelang es in der Ostseehalle nicht, an dieser Rangordnung nachhaltig etwas zu ändern. „Ich habe nicht das Gallige in den Augen unserer Spieler gesehen“, musste SG-Manager Thorsten Storm. „Es ging bei uns nicht richtig zur Sache. Der letzte Wille fehlte – vielleicht waren wir zu cool.“

Die Kieler besaßen diesen Willen ganz offensichtlich. „Bei einer weiteren Niederlage wären wir innerhalb von vier Tagen im Titelrennen schon ein großes Stück in Rückstand geraten.“, sagte Kiels überragender Kreisläufer Marcus Ahlm, der elf Tore erzielte. „Wir mussten einfach gewinnen.“ Gesagt, getan.