Ein Prost auf die Nachbarschaft

STADTTEILTHEATER Zum dritten Mal ruft „Altona macht auf“ verkannte KünstlerInnen auf, sich weit aus dem Fenster zu lehnen und die eigene Balkonbühne zu bespielen

VON ROBERT MATTHIES

Wer hat ihn nicht schon mal verspürt, den Wunsch, all die Sehnsüchte, Hoffnungen und Befürchtungen mal ungeniert aus dem Fenster in die Welt herauszuproklamieren? Einmal all die Tanzschritte vorzuführen, von denen bislang niemand wusste, wie gut man sie schon im Schutz der eigenen vier Wände geübt hat? Den Gitarrenverstärker voll aufzudrehen und für die Nachbarn hemmungslos in die Saiten zu hauen?

Den Wunsch erfüllen können sich alle verkappten und verkannten Altonaer KünstlerInnen seit zwei Jahren im Rahmen der kollektiven Performance „Altona macht auf“. Zum dritten Mal rufen Theater-Altonale-Leiterin Tania Lauenburg und der Theaterautor Carsten Brandau am Freitag und am Mittwoch kommender Woche dazu auf, das eigene Talent im heimischen „Sehnsuchtsfenster“ und „Balkontheater“ auszustellen, um all dem Ausdruck zu verleihen, was im Alltag sonst hinter der Fassade versteckt bleibt.

„Am Anfang hat niemand das Projekt verstanden. Viele dachten, wir sind ein bisschen irre und das wird nie klappen“, sagt Lauenburg. Aber die Resonanz war schon im ersten Jahr groß. Rund 1.000 Menschen erlebten, was 300 AltonaerInnen an mehr als 70 Spielorten präsentierten: ein selbst verfasster Schwank hier, ein umgedichteter Song vom Chor des Stadtteilzentrums Motte dort, Puppentheater oder Vorschüler-Rap.

Für Gerhard Fiedler, den künstlerischen Leiter der Altonale, ist „Altona macht auf“ längst „das altonaischste aller Events“. Und Nachahmer hat die originelle Stadtteilperformance in Berlin und Valencia auch schon gefunden. „Die Resonanz ist überwältigend und fast schon nicht mehr zu bewältigen“, ist Lauenburg begeistert. 700 AnwohnerInnen machen diesmal mit, insgesamt werden 111 Fenster und Balkone bespielt.

Anlässlich des 350-jährigen Jubiläums der Verleihung der Stadtrechte waren die Stadtteilperformer unter dem Motto „Altona macht Geschichte“ diesmal auch aufgerufen, im Stadtteilarchiv Ottensen zu stöbern und sich mit einem historischen Thema auseinanderzusetzen. Besonders freut sich Lauenburg über all die kleinen Geschichten, die dabei erzählt werden und dem Stadtteil ein Gesicht geben.

„Es gibt zum Beispiel Uli Panknin, der hatte die Szene-Kneipe Zwiebel an der Elbe und war ein totaler Irlandfan, hat irische Bands nach Hamburg eingeladen, war Goldsucher“, erzählt Lauenburg. „Irgendwann hatten er und sein Freund Kurt einen Schlaganfall und saßen beide im Rollstuhl.“

Nun öffnet der Freund zusammen mit der gemeinsamen Krankengymnastin das Fenster für einen ganz persönlichen Nachruf auf den letztes Jahr Verstorbenen: Krankengymnastin Dörte singt gemeinsam mit Panknin, dessen Stimme vom Band eingespielt wird, sowie dessen Freunden den Lieblingssong des legendären Zwiebel-Wirts. „Dazu wird Guinness ausgeschenkt und das Publikum kann mitsingen, der Refrain steht auf den Bechern. Die muss man zum Lesen anheben und hat damit gleichzeitig schon geprostet“, erklärt Lauenburg.

Dass die kollektive Kunst-Aktion dabei auch längerfristig ganz neue nachbarschaftliche Bande knüpft, das kann man dieses Jahr in der Stuhlmannstraße spüren. Dort öffneten schon im ersten Jahr gleich zwanzig „Sehnsuchtsfenster“, die Anwohner rollten Rasen auf den Asphalt, stellten Bäume auf und verwandelten die Sackgasse in einen von Lichtinstallationen und Musik umsäumten Park. Im Jahr darauf wurde die gemeinsame Aktion wiederholt.

„Die kannten sich vorher gar nicht, haben höchstens mal Hallo zueinander gesagt“, weiß Lauenburg. Dass die Stuhlmannstraße dieses Jahr nicht „aufmacht“, liegt auch nicht daran, dass man sich doch wieder auseinandergelebt hat. Im Gegenteil: Für „Altona macht auf“ hat hier niemand Zeit, weil gemeinsam ein, nun ja – das Geheimnis wird erst am Freitag gelüftet.

■ Fr, 27. 6. und Mi, 2. 7., in Altona-Altstadt und Ottensen, Infos unter altona-macht-auf.de