An breiter Front

Äthiopiens Armee will in Südsomalia den herrschenden Islamisten „das Rückgrat brechen“

von DOMINIC JOHNSON

Der Blutzoll ist hoch, die Konsequenzen sind unabsehbar. Mehr als 1.000 Tote hat nach Angaben der äthiopischen Regierung die Blitzoffensive nach Somalia der letzten Tage gefordert. Gestern Nachmittag befanden sich äthiopische Truppen nach Angaben des somalischen Botschafters in Äthiopien nur noch 70 Kilometer von Mogadischu entfernt. Äthiopiens Premierminister Meles Zenawi konnte sich freuen: „Eine gemeinsame somalische und äthiopische Streitmacht hat den internationalen Terroristen das Rückgrat gebrochen.“

Noch zwei Tage vorher hatte Meles jede Einmischung in die inneren Angelegenheiten Somalias von sich gewiesen. Äthiopische Panzerkolonnen und Kampfhubschrauber waren am 22. Dezember auf somalisches Territorium vorgedrungen, damit die in der grenznahen Kleinstadt Baidoa regierende „Übergangsregierung“ Somalias nicht vollends von den Truppen des islamistisch dominierten „Rats der Somalischen Islamischen Gerichte“ (SICC) gestürzt wird. Der SICC, zuvor als UIC (Union Islamischer Gerichte) bekannt, hatte im Juni Mogadischu erobert und danach fast die gesamte Südhälfte Somalias – meist willkommen geheißen von der Bevölkerung, die sich ein Ende der Willkürherrschaft lokaler Warlords erhoffte. Nur in Baidoa blieb die 2005 dort mit äthiopischer Militärhilfe installierte „Übergangsregierung“ sitzen, die 2004 im kenianischen Exil gebildet worden war und internationale Unterstützungszusagen erhalten hat. Am 12. Dezember hatten die Islamisten Äthiopien ein Ultimatum von sieben Tagen gesetzt, seine Truppen aus Baidoa abzuziehen. Die ersten Kämpfe brachen am 19. Dezember aus, bei Idale, 60 Kilometer südwestlich von Baidoa.

In den nächsten Tagen rückten die islamistischen Kämpfer aus zwei Richtungen auf Baidoa vor, entlang der beiden Straßen aus dem südsomalischen Tiefland. Idale fiel, dann Daynuney, das größte Militärlager der Baidoa-Regierung. Am 23. Dezember stießen die Milizen aus Mogadischu sogar bis auf 12 Kilometer vor Baidoa vor. An einer zweiten Front eroberten sie Bur Hakaba, 30 Kilometer südöstlich von Baidoa. Die Region nordöstlich von Baidoa um die Grenzstadt Belet Huen kontrollierten die Islamisten bereits. „Alle Somalis sollten sich dem Krieg gegen Äthiopien anschließen“, erklärte am 21. Dezember der starke Mann des SICC in Mogadischu, Scheich Aweys, dem die USA Verbindungen zum internationalen Terrornetzwerk al-Qaida nachsagen.

Die am 22. Dezember begonnene Gegenoffensive Äthiopiens ließ den eher dezentral agierenden Islamisten keine Chance. Belet Huen, 1993 beim unglücklichen Somalia-Einsatz der UNO Stützpunkt der Bundeswehr, wurde mit äthiopischen Luftangriffen sturmreif geschossen und fiel am Heiligen Abend. Weitere Ortschaften folgten. Über die nordostsomalische Region Puntland, deren Präsident Abdullahi Yusuf auch Präsident von Baidoa ist, flog Äthiopien Militärverstärkung ein. Panzerkolonnen rollten an die Front. Die Milizen aus Mogadischu wurden in den „strategischen Rückzug“ getrieben. Begleitet wurde dies von äthiopischen Luftangriffen auf die beiden Flughäfen der somalischen Hauptstadt.

Der kurze Frühling in Mogadischu, den die Flucht der Warlords vor den Islamisten im Juni ermöglicht hatte, geht nun in neuer Kriegsangst unter. „Die Übergangsregierung hat das Land an Äthiopien verkauft, und es gibt Krieg zwischen uns und den Äthiopiern,“ sagte SICC-Außenminister Ibrahim Hassam Adow vor Weihnachten. Sein für Verteidigung zuständiger Kollege Yusuf Mohammed Siad Indo-Adde lud zum internationalen Kampf ein: „Das Land steht allen muslimischen Dschihadisten weltweit offen. Wir rufen sie dazu auf, nach Somalia zu kommen und ihren heiligen Krieg in Somalia fortzuführen.“ Und gestern sagte SICC-Vorsitzender Sharif Sheikh Ahmed, der Krieg gegen Äthiopien werde „lang und endlos“ sein.

Die Afrikanische Union, die in der äthiopischen Hauptstadt Addis Abeba ihren Sitz hat, erklärte ihre Unterstützung für das äthiopische Vorgehen. Aus ihrer Sicht ist die Baidoa-Regierung legitimer als die in Mogadischu, weil sie aus einem international vermittelten Friedensprozess hervorging. Die Mogadischu-Regierung allerdings ging aus einer innersomalischen Dynamik hervor und genießt deswegen unter Somalis größere Unterstützung.

Besonders dramatisch ist der Krieg, weil er in einer bitterarmen Region stattfindet, die in den letzten Jahren erst von Dürren und dann von Überschwemmungen getroffen worden ist. Über eine Million Menschen sind dort auf Nothilfe angewiesen. Während Äthiopiens Luftwaffe über Belet Huen und Mogadischu Bomben warf, fielen weiter südlich UN-Lebensmittelpakete vom Himmel.