Globale Dorfkapelle

HIGH-SPEED-BLASORCHESTER Einst spielte sie auf Hochzeiten und Beerdigungen, heute ist die rumänische „Fanfare Ciocarlia“ eine der bekanntesten Bläserkombos der Welt – und sehr wahrscheinlich die allerschnellste

Mehr als 200 bpm sind für die „Fanfare Ciocărlia“ kein Problem – stundenlang

VON ROBERT MATTHIES

„Zehn Felder“ bedeutet Zece Prajini auf Deutsch übersetzt – und vielmehr ist in dem gleichnamigen Dorf im Nordosten Rumäniens auch nicht zu sehen. Nur eine einzige asphaltierte Straße führt durch den kleinen Ort mit zwei Kirchen, ein paar Lebensmittelgeschäften und einem Kindergarten. Der auf den parallel zur Dorfstraße liegenden Schienen dreimal am Tag vorbeifahrende Zug hält gar nicht erst an, sondern bremst nur ein wenig ab, damit sich Reisende nicht so arg verletzen, wenn sie hier aus dem Zug springen. Die eigene Hauptstadt Bukarest bekommen nur wenige der rund 400 Dorfbewohner jemals zu Gesicht.

An Musik allerdings ist Zece Prajini überreich. Rund ein Viertel der Menschen spielt hier wie in vielen Dörfern in der Gegend in einer der zahllosen Roma-Fanfaren – und lebt mehr oder weniger schlecht davon: Andere Arbeit finden sie in der von Antiziganismus geprägten Umgebung aber nur selten.

So lebten noch vor 14 Jahren auch die Musiker der „Fanfare Ciocărlia“, als sich der deutsche Toningenieur Henry Ernst nach Zece Prajini verirrt und die 12-köpfige Kombo für die internationale Musikwelt „entdeckt“ hat. Seitdem hat sich für die Rumänen viel verändert. Heute blickt die Dorf-Fanfare auf rund 1.000 Konzerte in über 50 Ländern und auf den größten Bühnen dieser Welt zurück, vor vier Jahren gab es für die beeindruckend komplexen Rhythmen und die eigenwillige Mischung aus Roma- und rumänischer Volksmusik mit türkischen, bulgarischen, serbischen und mazedonischen Einflüssen, mit der die Fanfare gern mal Holly- und Bollywood-Schlager interpretiert, schließlich auch den BBC World Music Award. Auf die Leinwand haben es die ehemaligen Hochzeits- und Beerdigungsmusiker auch längst geschafft: In Sascha Baron Cohens Film „Borat“ spielt die Band eine unvergleichliche Cover-Version von „Born to be wild“.

Und als schnellste Blechbläsertruppe der Welt gelten sie ohnehin schon lange: High-Speed-Stakkatos mit mehr als 200 bpm sind für die „Fanfare Ciocărlia“ kein Problem – und zwar stundenlang. Ihre – nach etlichen CDs – aktuelle und einzige LP „Best of Gypsy Brass“ hat das Label „Asphalt Tango“ deshalb auch auf 180 Gramm schweres Vinyl pressen lassen – damit wirklich jede Note draufpasst.

Schämen muss sich die Hochenergie-Fanfare in der prunkvollen Laeiszhalle also am Dienstagabend bestimmt nicht, weil sie nur verbeulte Instrumente auspackt und keiner von ihnen Noten lesen kann. Dann schon eher das Publikum: Über keine andere europäische Bevölkerungsgruppe weiß man hierzulande nachgewiesenermaßen so wenig wie über Roma – und meint zugleich so viel Negatives zu wissen.

■ Di, 25. 1., 20 Uhr, Laeiszhalle